aus: Keller, Rudi (1995): Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen
Wissens. Tübingen/ Basel, 58-70.
(S. 58)
{Abschnitt 1}
Von einem
sprachlichen Zeichen
zu sagen, es habe Bedeutung, heißt zu sagen,
es sei mit einer Vorstellung verbunden. Die Vorstellung des Sprechers wird
mit einem sprachlichen Zeichen gleichsam versandfertig verpackt
(enkodiert), und vom Hörer nach dessen Empfang wieder ausgepackt
(dekodiert). Der Hörer gelangt somit in den Besitz der mit dem empfangenen
Zeichen verbundenen Vorstellung. Die Bedeutung eines Zeichens ist also die
mit ihm verbundene Vorstellung. So oder so ähnlich lautet die
common-sense
Theorie
der Bedeutung. "Die charakteristische traditionelle Zeichentheorie
war eine Stellvertretertheorie: das Zeichen vertritt etwas, was auch ohne
die Verwendung dieses oder eines anderen Zeichens gegeben sein könnte -
eben in der Vorstellung."
[89]
Eine solche Auffassung kann man generalisierend
"Vorstellungstheorie" nennen. Mit Hilfe einiger
suggestiver
Fragen und
Bemerkungen möchte ich auf die Probleme aufmerksam machen, die mit einer
solchen
Theorie
verbunden sind. Eine ausführliche Darstellung und Kritik
der verschiedenen Varianten der Vorstellungstheorie gibt
Tugendhat.
[90]
1. Auch wenn wir unterstellen, daß es plausibel ist, anzunehmen, daß wir
mit den Wörtern Kuh, Haus, trinken etc. Vorstellungen verbinden, so wäre
immer noch zu zeigen, welche Vorstellung wir mit Ausdrücken wie nichts, ob,
Dienstag, gut, Vetter, ähnlich oder unvorstellbar verbinden.
2. Unterstellen wir, daß die
These
"die Bedeutung eines Ausdrucks ist die
mit ihm verbundene Vorstellung" korrekt ist, welche Bedeutung hätte dieser
Theorie gemäß der Ausdruck Vorstellung? Und welche Bedeutung hätte der
Ausdruck die mit dem Ausdruck `Vorstellung' verbundene Vorstellung? Die
Antwort lautet: "Die Vorstellung der mit dem Ausdruck Vorstellung
verbundenen Vorstellung." Was bedeutet der Theorie gemäß diese Antwort?
3. Wie lehrt man andere (z.B. Kinder), bestimmte Vorstellungen zu haben,
und wie kontrolliert man, ob es die richtigen sind? Wie vergleiche ich
meine Vorstellung mit der eines anderen?
(S. 59)
4. Nehmen wir an, es behaupte jemand, die Wörter fast und beinahe hätten
die gleiche Bedeutung. Wie überprüft man, ob dies stimmt? Der
Vorstellungstheorie gemäß sollte folgende Methode erfolgversprechend sein:
Man schließe die Augen, vergegenwärtige sich zunächst die zu fast gehörige
Vorstellung und dann die zu beinahe. Sodann vergleiche man die beiden
Vorstellungen und überprüfe, ob es sich zweimal um die gleiche Vorstellung
handelte.
5. Unterstellen wir, mein Gesprächspartner stelle sich, wenn ich zu ihm
sage "Ich habe mir eine Kuh gekauft", eine Kuh vor. Die korrekte
Vorstellung zu haben, setzt doch offenbar voraus, daß er (unter anderem)
den Ausdruck Kuh richtig verstanden hat. Folglich kann das Verständnis des
Wortes Kuh nicht im Haben der entsprechenden Vorstellung liegen. Wenn eine
Vorstellung ins Spiel kommt, kann sie nur eine Folge des Verstandenhabens
sein.
6. Unterstellen wir, mein Gesprächspartner stelle sich, nachdem ich ihm
sagte "Ich fahre morgen in Urlaub", Sonne, Strand und Meer vor. Ich aber
erhole mich drei Wochen in Ludwigshafen. Würden wir unter diesen
Bedingungen sagen, er habe mich mißverstanden? Wohl kaum; er hatte nur eine
falsche
Hypothese
über das Reiseziel.
7. Der Begriff der Vorstellung bedürfte, um theoriefähig zu werden, einer
analytischen Klärung und Explikation. Eine solche ist mir nicht bekannt;
aber unterstellen wir, Vorstellungen seien so etwas wie geistige Bilder.
(Wenn ich mir Hawaii vorstelle, erzeuge ich in mir eine Art geistigen
Bildes.) Wenn so etwas mit dem Begriff der Vorstellung gemeint ist, wer
hilft mir dann, meine geistigen Bilder zu verstehen? Und wer garantiert,
daß ich sie richtig interpretiere?
Was diese sieben Suggestivfragen bzw. Bemerkungen andeuten sollen, ist
folgendes:
ad 1: Die Vorstellungstheorie wird vollständig unplausibel, wenn sie auf
Konjunktionen wie ob, relationale Ausdrücke wie
Vetter, rein
evaluative
Ausdrücke
wie gut oder nur strukturell definierbare Ausdrücke wie Dienstag
angewendet wird.
ad 2: Die Anwendung der Vorstellungstheorie führt bei dem Versuch, sie auf
den Ausdruck Vorstellung selbst anzuwenden, zu einem
iterativen Regreß
.
(S. 60)
ad 3: Wenn der kommunikative Gebrauch der Sprache im Austausch von
Vorstellungen bestünde, müßten Vorstellungen nichtsprachlich kommunizierbar
sein, um eine Sprache lehren zu können.
ad 4: Jeder, der mit einer
Synonymiefrage
konfrontiert wird, macht intuitiv
Austauschtests, und keiner käme je auf die vorstellungstheoretische Idee,
introspektive Vorstellungsvergleiche
anstellen zu wollen.
ad 5: Vorstellungen sind allenfalls sekundäre Begleiterscheinungen des
Kommunizierens, nicht aber substantieller Teil des Kommunizierens.
ad 6: Eine Äußerung richtig verstanden zu haben und die der
Äußerungsintention des Sprechers adäquate Vorstellung zu haben, ist
unabhängig voneinander. Die Aussage "Ich habe dich vollständig verstanden,
kann mir aber nicht vorstellen, was du gesagt hast" ist nicht
selbstwidersprüchlich.
ad 7: Wenn Vorstellungen in irgendeiner Weise Bildcharakter haben, müssen
sie selbst Gegenstand interpretativer Bemühungen sein, um verstanden zu
werden. Diese Annahme führt ebenfalls in einen
iterativen Regreß
.
Das Fazit ist: Selbst wenn wir zugestehen, daß wir beim Kommunizieren
(bisweilen, stets oder bei einigen Sätzen oder Wörtern) Vorstellungen
haben, so spielen sie für die Kommunikation nicht die Rolle, die ihnen die
Vorstellungstheorie beimißt. Ob wir welche haben oder nicht, ist irrelevant
für die Frage, was der Sprecher meint mit dem, was er sagt, und was der
Hörer versteht. Selbst wenn es systematische Vorstellungen gibt, die unser
Kommunizieren begleiten, haben sie für das Spiel des Kommunizierens nicht
mehr Bedeutung als etwa die systematisch auftretende Freude oder
Verärgerung, die einen Stich im Skatspiel begleiten mag. Sie sind nicht
Bestandteil des Spiels.
{Abschnitt 2}
Jede Theorie, die behauptet, daß Zeichen für etwas stehen, seien es
Vorstellungen, Dinge oder sonst etwas, muß auf die Frage eine Antwort
geben, wie dieses Repräsentationsverhältnis hergestellt und
aufrechterhalten wird. Wie bringt man ein Zeichen dazu, für etwas zu stehen
oder etwas zu symbolisieren oder eine Vorstellung zu repräsentieren? Soll
das, wofür das Zeichen steht, Bedeutung genannt werden? Genau diese
Position will ich nicht vertreten. Nicht, was kommuniziert ist, soll
Bedeutung genannt werden, sondern was Kommunizieren ermöglicht. Erinnern
wir uns: Wer über Zeichen, deren Beziehung zur
(S. 61)
kognitiven Welt
und zur Welt der Dinge reden will, der muß, wie dies
spätestens seit Aristoteles üblich ist, drei Betrachtungsebenen vorsehen
und unterscheiden: die linguistische Ebene der Zeichen, die
epistemologische Ebene der
Konzepte
und die
ontologische Ebene der Dinge
und Sachverhalte
. Man kann sich dann fragen, auf welcher Ebene man das
ansiedeln möchte, was Bedeutung heißen soll. Teilweise ist das eine
terminologische Entscheidung. Frege siedelte, was er Bedeutung nannte, wie
wir gesehen haben, auf der ontologischen Ebene an. Vorstellungstheoretiker
siedeln sie offenbar auf der epistemischen Ebene an. Ich werde dafür
plädieren, Bedeutung, dem späteren Wittgenstein folgend, auf der
linguistischen Ebene anzusiedeln. Wenn man diese Entscheidung nicht als
rein terminologische Frage abtun will, muß man sich zunächst über eine
andere Frage Klarheit verschaffen: Was soll der Bedeutungsbegriff leisten?
Was soll mit ihm erklärt werden? Ohne eine solche Präzisierung läßt sich
die Frage "Worin besteht die Bedeutung eines Zeichens?" nicht sinnvoll
beantworten. Meine Entscheidung ist die: Der Begriff der Bedeutung soll den
Aspekt der Interpretierbarkeit des Zeichens erklären. Auch wenn man
zugesteht, daß Zeichen für etwas stehen, etwas repräsentieren, etwas
bezeichen und dergleichen, sei es einen Gegenstand, eine Vorstellung, ein
Konzept, einen Wahrheitswert oder was auch immer, kommt man nicht umhin,
sich die Frage zu stellen, welche Eigenschaft des Zeichens es ist, dank
derer der Adressat herausfindet, wofür das Zeichen steht. Wenn wir mit
Hilfe einer Sprache kommunizieren, vollziehen wir Äußerungen in der
Absicht, den Adressaten zu einer bestimmten Interpretation zu bewegen. Eine
Äußerung in einer solchen Absicht zu vollziehen heißt, mit dieser Äußerung
etwas meinen.: Wir können also auch sagen, der Bedeutungsbegriff soll der
Erklärung dessen dienen, wie es dem Sprecher möglich ist, dem Adressaten
erkennen zu geben, was er meint. Er soll dazu beitragen, Platons Rätsel zu
lösen: Wie gelingt es, "daß [...], wenn ich dieses Wort ausspreche [und]
jenes denke, [...] du erkennst, daß ich jenes denke"?
[91]
{Abschnitt 3}
Um erläutern zu können, wie dies möglich ist, ist erheblicher begrifflicher Aufwand nötig. Ludwig Wittgenstein hat entscheidende Anstöße zur Lösung dieses Rätsels geliefert. Diese will ich nun in ihren Grundzügen erläuternd darstellen.
(S. 62)
Wittgensteins Auffassung zur Bedeutung sprachlicher Zeichen wird gemeinhin
"die Gebrauchstheorie der Bedeutung" genannt. Eine solche Redeweise
suggeriert
dem mit Wittgensteins Schriften wenig vertrauten Leser, es gäbe
eine theoretische Abhandlung, in der er eine Theorie der Bedeutung
vorgelegt hat. Eine solche gibt es nicht. Wittgenstein hat vielmehr in
einer Reihe verstreuter Bemerkungen, vor allem in dem Hauptwerk seiner
späteren Philosophie, das den Titel "Philosophische Untersuchungen" trägt,
den Begriff der Bedeutung thematisiert, berührt oder auch bisweilen nur
gestreift. So ist es nicht verwunderlich, daß unterschiedliche
Interpretationen vorliegen. "Die philosophischen Bemerkungen dieses
Buches", schreibt er im Vorwort zu den "Philosophischen Untersuchungen",
"sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen
und verwickelten Fahrten entstanden sind."
[92]
Eine Gebrauchtstheorie kann
nur das Ergebnis interpretativer und ergänzender Bemühungen sein. Solchen
Bemühungen wollen wir uns nun unterziehen.
Als einschlägig wird im allgemeinen der Paragraph 43 der "Philosophischen
Untersuchungen" angesehen, der in voller Länge wie folgt lautet:
Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes
`Bedeutung' - wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses
Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der
Sprache. Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch,
dass man auf seinen Träger zeigt. (PU § 43)
{Abschnitt 4}
Dieser Paragraph enthält zwei Fallen und einen Hinweis. Beginnen wir mit
dem Hinweis. Die Bedeutung eines Namens könne man manchmal hinweisend durch
Zeigen erklären, sagt Wittgenstein. Da das Problem der hinweisenden
Erklärung für unsere Zwecke nur von
marginalem
Interesse
ist, soll eine knappe Erläuterung genügen.
Man könnte annehmen, und Frege, dessen Schriften der frühe
Wittgenstein bewundert hatte, tut dies ja auch, daß die Bedeutung
eines Namens sein Träger sei. Wittgenstein distanziert sich in den
"Philosophischen Untersuchungen" von dieser Annahme. Allerdings,
so
konzediert
er, lasse sich die
Bedeutung eines Namens, oder allgemeiner eines Wortes, bisweilen
erklären durch hinweisende Definition. Warum nur
(S. 63)
bisweilen? Die Antwort ist einleuchtend: Man stelle sich vor, ich wolle
einem erklären, was das Wort zwei bedeutet, indem ich auf zwei Nüsse zeige
und sage "Das heißt `zwei'" (PU § 28). Woher soll der Lernende wissen,
worauf ich gedeutet habe? Er könnte annehmen, ich wolle ihm die Bedeutung
von Nüsse beibringen. Nehmen wir an, ich deutete auf einen roten Pullover
und sage "Das heißt rot". Wie soll der Adressat entscheiden können, ob ich
nicht die Bedeutung von Pullover oder flauschig oder Wolle erklären wollte?
Mit anderen Worten, um eine hinweisende Erklärung verstehen zu können, muß
bereits vieles bekannt sein.
Man könnte also sagen: Die hinweisende Definition erklärt den
Gebrauch - die Bedeutung - des Wortes, wenn es schon klar ist,
welche Rolle das Wort in der Sprache überhaupt spielen soll. Wenn
ich also weiß, dass Einer mir ein Farbwort erklären will, so wird
mir die hinweisende Erklärung "Das heißt `Sepia'" zum Verständnis
des Wortes helfen. (PU § 30)
Die hinweisende Definition kann nicht am Anfang stehen, und sie ist nicht
immer erfolgreich. Denn "die hinweisende Definition kann in jedem Fall so
oder anders gedeutet werden". (PU § 28)
{Abschnitt 5}
Widmen wir uns nun den beiden Fallen. Mißverständlich ist erstens die
einschränkende Vorbemerkung im ersten Satz des Paragraphen 43 und zweitens
das Schlüsselwort Gebrauch selbst. Beginnen wir mit der Einschränkung:
Wittgensteins Explikation der Bedeutung von Bedeutung soll "für eine große
Klasse von Fällen der Benützung des Wortes `Bedeutung' - wenn auch nicht
für alle Fälle seiner Benützung" gelten. Das naheliegende Mißverständnis
formuliert George Pitcher in schöner Klarheit: "Genau das würde man von
Wittgenstein erwarten: wie es viele verschiedene Sorten von Spielen gibt,
gibt es auch viele verschiedene Arten von Bedeutung, und nicht alle sind
identisch mit dem Gebrauch des bedeutungstragenden Wortes. Es ist
charakteristisch für Wittgenstein, daß er uns nicht sagt, was für Fälle er
nicht unter seine allgemeine
Maxime
rechnen würde."
[93]
Das Mißverständnis
besagt, Wittgenstein wolle mit seiner Einschränkung zum Ausdruck bringen,
daß es eine kleine Klasse von Wörtern gebe, deren Bedeutung nicht ihr
Gebrauch in der Sprache sei. Wäre es dies gewesen, was er hätte sagen
wollen, so hätten seine sprachlichen Fähigkeiten durchaus ausgereicht, es
klar zu sagen. "Man kann für eine große Klasse von Wortbedeutun-
(S. 64)
gen - wenn auch nicht für alle Fälle der Bedeutungen der Wörter -das Wort
Bedeutung so erklären ..." Dies hat Wittgenstein nicht gesagt. Er redet
nicht von einer großen Klasse von Wortbedeutungen oder einer großen Klasse
von Wörtern, sondern von einer großen Klasse von Benützungen des Wortes
Bedeutung! Mit anderen Worten, er redet über die Bedeutungsvielfalt des
Wortes Bedeutung. Er sagt uns, was das Wort Bedeutung bedeutet. Wir
benutzen das Wort Bedeutung auf vielfältige Weise: `die Bedeutung Konrad
Adenauers für Deutschland', `die Bedeutung des Wortes rein für Goethes
Alterswerk', `die Bedeutung des Wortes polliastre im Deutschen' usw. In
solchen und ähnlichen Verwendungen des Wortes Bedeutung läßt es sich nicht
mit "Gebrauch in der Sprache" gleichsetzen. Die Gleichsetzung gilt nur in
den bedeutungstheoretisch relevanten Fällen der Benutzung des Wortes
Bedeutung: die Bedeutung des Wortes auf der
Ebene der Langue
. Hier gilt
uneingeschränkt: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der
Sprache.
{Abschnitt 6}
Damit haben wir eine Überleitung zu der zweiten Falle erreicht. Wo steht,
daß sich Wittgenstein auf die Langue-Bedeutung bezieht? Will er nicht
gerade den Bedeutungsbegriff flexibler machen und sagen "Je nachdem wie das
Wort gebraucht wird, je nach Kontext, Situation oder Umständen kann ein
Wort verschiedene Bedeutungen haben"? Gisela Harras propagiert diese These:
"Dies heißt, [es] gibt [...] nicht die Bedeutung eines Wortes, sondern je
nach Situation und Zwecken von Sprechern jeweils verschiedene Bedeutungen.
Dahinter steht zugleich die Auffassung, daß der Gebrauch von sprachlichen
Ausdrücken - und damit ihre Bedeutungen - abhängig ist von den Intentionen,
die Sprecher jeweils haben."
[94]
Befürworter wie Gegner der Wittgensteinschen
Auffassung bedienen sich dieses Mißverständnisses. So warnt Derek
Bickerton: "But we must be careful here, or we shall fall into the trag of
Wittgenstein's [...] theory of `meaning as use'. This approach holds that
things mean what we choose them to mean - and it is a useful gambit against
naive realists who believe that language merely labels what is already
there."
[95]
Vielfach wird diese "Bedeutungstheorie" nachgerade als die große
Errungenschaft der pragmatisch orientierten Linguistik gefeiert oder von
ihren Gegnern als Argu-
(S. 65)
ment ihrer Unangemessenheit benutzt.
[96]
Was spricht gegen die
Interpretation, daß es nicht die Bedeutung gebe, sondern daß ein Wort je
nach Kontext und Sprecherintention verschiedene Bedeutungen habe? Im
Paragraphen 43 der "Philosophischen Untersuchungen" spricht nichts gegen
diese Interpretation, außer daß sie das "principle of charity" verletzt,
das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, welches besagt: "Unterstelle
deinem Gesprächspartner nicht, Unsinn sagen zu wollen." Wenn der Begriff
der Bedeutung dazu dienen soll zu erklären, wie es dem Sprecher möglich
ist, in und mit einer Sprache etwas zu meinen, so kann die Bedeutung nicht
gleichgestzt werden mit dem, was der Sprecher von Fall zu Fall meint. Wenn
die Bedeutung dazu dienen soll zu verstehen, was einer in einer gegebenen
Situation mit seiner Äußerung intendiert, so kann sie nicht situations- und
intentionsabhängig konzeptualisiert werden. Wenn ich den Spre
cher verstanden haben muß, um die Bedeutung seiner Wörter zu kennen, so
kann die Bedeutung nichts sein, was mir beim Verstehen hilft. Was
Wittgenstein unter Bedeutung versteht, soll die Basis des Verstehens sein
und nicht dessen Ergebnis. Daraus folgt, daß mit dem Ausdruck Gebrauch
nicht einzelne Gebrauchsinstanzen gemeint sein können, sondern nur die
Gebrauchsweise in der Sprache, die Regel des Gebrauchs. Aber in der Tat hat
Wittgenstein, wenn ich recht sehe, versäumt, eine terminologische
Unterscheidung einzuführen, um das, was ein Wort bedeutet, klar von dem
differenzieren zu können, was ein Sprecher mit einer speziellen Äußerung
dieses Wortes meint. Ich werde in Kapitel 10 auf diese Unterscheidung
zurückkommen und eine
Terminologie
vorschlagen.
{Abschnitt 7}
Was Wittgenstein mit dem zitierten Paragraphen sagen will, ist dies: Die
Bedeutung eines Wortes einer Sprache L besteht in seiner Gebrauchsweise
innerhalb von L. Dies gilt. für alle Wörter einer Sprache. Wenn du weißt,
wie ein Wort verwendet wird, wenn du die Regel seines Gebrauchs in der
Sprache L kennst, weißt du alles, was es zu wissen gibt. Wenn du jemandem
die Bedeutung eines Wortes beibringen willst, so bringe ihm bei, wie dieses
Wort in der Sprache verwendet wird. (Du brauchst ihm dabei nichts über
deine Vorstellungen oder sonst etwas über dein Innenleben zu sagen!)
Manchmal, wenn schon
(S. 66)
viele Vorklärungen getroffen sind, kann auch eine hinweisende Definition
die Erklärung des Gebrauchs ersetzen.
Es ist nicht nur das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, das zu
dieser Interpretation Anlaß gibt. Sie ergibt sich erstens aus dem
Zusammenhang mit den übrigen Schlüsselbegriffen seiner späteren Philosophie
- wie dem des Sprachspiels, der Lebensform, der Regel und der
Privatsprache. Auf diese Zusammenhänge will ich hier nicht näher eingehen.
Zweitens ergibt sie sich aus der Reihe zusätzlicher verstreuter
Erläuterungen, Bilder und synonymer Ausdrücke:
Sagen wir: die Bedeutung eines Steines (einer Figur) ist ihre Rolle
im Spiel. (PU § 563)
Denk an die Werkzeuge in einem Werkzeugkasten: es ist da ein Hammer,
eine Zange, eine Säge, ein Schraubenzieher, ein Maßstab, ein
Leimtopf, Leim, Nägel und Schrauben. - So verschieden die Funktionen
dieser Gegenstände, so verschieden sind die Funktionen der Wörter.
(Und es gibt Ähnlichkeiten hier und dort.) (PU § 11)
Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt
sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht,
ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. - Einer Regel
folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine
Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche,
Institutionen).
Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache
verstehen, heißt, eine Technik beherrschen. (PU § 199)
Die Ausdrücke Rolle, Funktion, Gepflogenheit und Technik machen hinreichend
deutlich, daß Wittgenstein unter Bedeutung nicht das verstanden wissen
will, was man bisweilen "Kontextbedeutung" nennt. Im § 559 sagt er das
explizit:
Man möchte etwa von der Funktion des Wortes in diesem Satz reden.
Als sei der Satz ein Mechanismus, in welchem das Wort eine bestimmte
Funktion habe. Aber worin besteht diese Funktion? Wie tritt sie zu
Tage? Denn es ist ja nichts verborgen, wir sehen ja den ganzen Satz!
Die Funktion muß sich im Laufe des
Kalküls
zeigen. (PU § 559)
Wenn Wittgenstein von Funktion, Rolle oder Gebrauch redet, so meint er dies
bezogen auf den gesamten Kalkül, auf die gesamte Sprache. Die Bedeutung des
Turms im Schachspiel zu kennen, heißt, zu wissen, wie man mit ihm ziehen
darf und wie nicht. Mehr gibt es bezüglich des Turms (oder einer beliebigen
anderen Figur) nicht zu wissen. Die Bedeutung des Turms zu kennen, ist
etwas anderes, als den Sinn eines bestimmten Zuges zu verstehen. Letzteres
setzt ersteres
(S. 67)
voraus. Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles,
nichts Seelisches oder sonst etwas Inneres. Die Bedeutung ist eine
Technik, und genau deshalb können wir sie lehren und lernen und
modifizieren. Die Theorie besagt nicht: Man muß die Bedeutung eines
Wortes kennen, um es richtig gebrauchen zu können. (Man muß die
Bedeutung des Turms kennen, um mit ihm richtig ziehen zu
können.) Ein Wort richtig gebrauchen können, heißt, die Bedeutung
kennen. Es gibt nichts "hinter" der Gebrauchsregel, das
gleichsam die Korrektheit des Gebrauchs garantiert. Der Gebrauch
"fließt" nicht aus der Bedeutung, ist nicht eine Folge der
Bedeutung, sondern er ist die Bedeutung.
{Abschnitt 8}
Man muß aufpassen, daß man mit der Kategorie des Gebrauchs beziehungsweise
der Regel des Gebrauchs nicht unter der Hand ein neues
Repräsentationsverhältnis einführt: Das Wort repräsentiert nicht die Regel
seines Gebrauchs; es "bedeutet" nicht die Regel des Gebrauchs, sondern
regelhafter Gebrauch macht es bedeutungsvoll.
[97]
Das Wort verhält sich zu
seiner Bedeutung nicht wie das Geld zur Kuh, die man dafür kaufen kann,
sondern wie das Geld zu seinem Nutzen.
[98]
Die Bedeutung des Wortes nein
kennen, heißt zu wissen, was man mit ihm im Deutschen tun kann: etwa
beipflichten auf negativ gestellte Fragen wie Gibt es in Andorra keine
Universität? - Nein. Die Kenntnis der Gebrauchsregel schließt natürlich die
Kenntnis der
Wahrheitsbedingungen
mit ein, aber sie schließt nicht-
wahrheitswertrelevante Gebrauchsbedingungen nicht aus. Wahrheitsbedingungen
sind Spezialfälle von Gebrauchsregeln. Pferd und Mähre
mögen, um auf
Freges
im vorigen Kapitel zitiertes Beispiel zurückzukommen, die gleichen
Wahrheitsbedingungen haben: Beide Ausdrücke können (beispielsweise)
verwendet werden, um auf Huftiere einer bestimmten Gattung zu verweisen.
Aber ihre sonstigen Gebrauchsbedingungen sind verschieden: Mähre wird
(beispielsweise) verwendet, um eine gewisse Geringschätzung zum Ausdruck zu
bringen, für Pferd gilt das nicht. Die Bedeutung eines Wortes kennen, heißt
(gegebenenfalls) nicht nur wissen, welche Bedingungen ein Gegenstand
erfüllen muß, damit das Wort geeignet ist, wahrheitsgemäß auf ihn
applizierbar zu sein, es heißt auch zu wissen, welcher Art "Winke", wie
Frege so schön sagte, man mit einem Wort geben kann. Wenn Frege schreibt:
"Das Wort `aber' unterscheidet sich von `und' dadurch, daß man mit ihm
andeu-
(S. 68)
tet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu
erwarten war, in einem Gegensatze",
[99]
so formulierte er (teilweise) die
Bedeutung von aber. Denn er sagt damit: Das Wort aber wird im Deutschen
dazu verwendet, das-und-das anzudeuten. Dies zu wissen heißt, die Bedeutung
zu kennen.
{Abschnitt 9}
Eine solche Bedeutungskonzeption hat allen anderen gegenüber entscheidende
Vorteile:
1. Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles. So wie ich den Gebrauch
eines Rasierapparats oder des Turms im Schachspiel lernen kann, und zwar
ganz oder teilweise, so kann ich den Gebrauch eines Wortes lernen.
2. So wie man überprüfen kann, ob einer den Gebrauch des Turms
beherrscht, kann man überprüfen, ob er die Bedeutung eines Wortes
beherrscht, ohne ihm in den Kopf oder in die Seele schauen zu müssen.
3. Die Bedeutung ist kein "Teil" des Wortes; so wenig die Gebrauchsweise
ein "Teil" meines Rasierapparats ist. Sie ist ein Aspekt des Wortes, oder
allgemeiner des Zeichens.
4. Bedeutungen lassen sich formulieren, ohne seltsame
Entitäten
erfinden
zu müssen, wie etwa
semantische Merkmale
, Seme und dergleichen.
5. Bedeutungen lassen sich vergleichen, untersuchen, überprüfen ohne
Blick in den Kopf oder die Seele. Es genügt der Blick auf den
Sprachgebrauch mit rein linguistischen Methoden: Frequenzuntersuchungen,
Kommutationsproben
,
Implikations-
und
Präsuppositionstests
und dergleichen.
Das Fazit ist: Bedeutungen sind nach diesem Konzept etwas sehr Handliches.
Sie sind weder im Kopf noch in der Seele, und das erleichtert ihre
Untersuchung enorm! "Cut the pie any way you like, `meanings' just ain't in
the head!"
[100]
{Abschnitt 10}
Dennoch fällt es manchem schwer, zu akzeptieren, daß die
Bedeutungshaftigkeit eines sprachlichen Zeichens in nichts anderem als dem
regelhaften Gebrauch bestehen soll. Der Grund scheint mir der zu sein:
Repräsentationistische Theorien
leben stets in der tröstlichen Fiktion,
einen Garanten außerhalb der Sprache selbst zu haben, der für
(S. 69)
die Richtigkeit der Verwendung eines Zeichens bürgt; sei es ein inneres
Ereignis oder ein Ding der äußeren Wirklichkeit: "Wir verwenden das Wort
Frustration gleich, weil wir alle die gleiche Vorstellung damit verbinden",
würde ein hartgesottener Vorstellungstheoretiker einwenden, ohne zu merken,
daß sein einziges Kriterium für seine Hypothese der Gleichheit der
Vorstellungen die Gleichartigkeit der Verwendungsweise ist. Wir können uns
das Entstehen von Bedeutungshaftigkeit durch Entstehung von Regelhaftigkeit
des Gebrauchs leicht klarmachen am Beispiel der Farbsymbolik. Betrachten
wir als Beispiel zunächst schwarze Krawatten. Sie zu tragen, ist Zeichen
der Trauer. Wenn wir ein Kind fragen: "Warum ist Schwarz die Farbe der
Trauer?" so bekommen wir zur Antwort "Weil Schwarz eine traurige Farbe
ist." Solange wir uns nicht klarmachen, daß anderswo Weiß die Farbe der
Trauer ist und in der katholischen Kirche vor Ostern Violett die Farbe der
Passion und Rot die Farbe der Märtyrer usw., hat diese Antwort etwas
spontan Einleuchtendes. Aber sie ist von der gleichen Logik wie die These,
die Schweine hießen Schweine, weil sie schmutzig seien. (Anttila hat die
Tatsache, daß wir dazu neigen, hinter den Symbolen Motiviertheit zu suchen,
treffend den Woodoo-Effekt der Sprache genannt.) Was Schwarz zum Symbol der
Trauer macht, ist ausschließlich die Tatsache, daß das Tragen dieser Farbe
hierzulande geregelt ist und darüber kollektives Wissen besteht.
{Abschnitt 11}
Betrachten wir zur Verdeutlichung ein fiktives Beispiel der
Genese
der
Bedeutungshaftigkeit einer Farbe in vier Phasen und nehmen wir an:
1. Ich habe eine Marotte. Immer wenn ich erkältet bin, trage ich eine gelbe
Krawatte. (Dies ist noch kein Beispiel für eine Regel, sondern eines für
eine Regularität. Denn zum Begriff der Regel gehört es, Fehler machen zu
können. Wenn ich einmal keine gelbe Krawatte trüge trotz Erkältung, könnte
mir niemand den Vorwurf fehlerhaften Verhaltens machen, sondern höchsten
den der Inkonsequenz. Regelhaftes Verhalten ist immer eine Sache von
vielen, einer Population.)
2. Die Menschen meiner Umgebung durchschauen diese Marotte. (Damit ist
meine gelbe Krawatte in gewisser Weise für die anderen ein Zeichen dafür
geworden, daß ich erkältet bin. Aber es ist kein Zeichen, wie ein
sprachliches Zeichen ein Zeichen ist. Auf den Unterschied werde ich in
Kapitel 13 zu sprechen kommen. Die Basis der Zeichenhaftigkeit ist in
diesem Falle die Kenntnis einer Regelmäßigkeit; so wie mein voller
Briefkasten für mich ein Zeichen dafür sein kann,
(S. 70)
daß es bereits zehn Uhr ist, nämlich dann, wenn ich weiß, daß der Postbote
immer gegen zehn Uhr kommt.)
3. Die andern finden Gefallen an meiner Marotte und übernehmen sie. (Dies
ist immer noch nicht der Zustand, in dem eine Regel des Gebrauchs der
gelben Krawatte gilt. Es handelt sich lediglich um eine Vielzahl von
Verhaltensregularitäten.)
4. Durch Beobachtungen, Gespräche, Sanktionsverhalten ("Was, du trägst,
obwohl du stark erkältet bist, eine grüne Krawatte?") und dergleichen
entsteht in dieser Population kollektives Wissen bezüglich dieser
Verhaltensregularität: Jeder weiß von jedem, daß er bei Erkältung eine
gelbe Krawatte trägt; und jeder weiß von jedem, daß er das von ihm selbst
weiß. Damit ersteht auch eine gewisse Verhaltenserwartung auf den anderen
bezogen und, resultierend daraus, eine gewisse Verhaltensverpflichtung auf
sich selbst bezogen. Man trägt bei Erkältung eine gelbe Krawatte. (Damit
ist aus einer individuellen Marotte eine Regel entstanden. Die gelbe
Krawatte ist zum Zeichen für Erkältung geworden. Nun kann nicht nur der
andere erkennen, daß ich erkältet bin, sondern die Krawatte wird von nun an
dazu verwendet, dem andern erkennen zu geben, daß der Krawattenträger
erkältet ist. Von nun an läßt sich mit ihr auch lügen.)
{Abschnitt 12}
Was zeigt uns dieses Beispiel? Es gehört nicht viel dazu, damit etwas
bedeutungsvoll wird. Auf diese oder ähnliche Weise ist wohl die lila
Latzhose zum Zeichen der Emanzipation und das lila Tuch zum Zeichen der
Osterpassion geworden. Wenn ein solcher Prozeß dann abgeschlossen ist und
die Regelbefolgung Bestandteil der alltäglichen Lebensform geworden ist,
dann geben die Kinder auf die Frage "Warum trägt man bei Erkältung eine
gelbe Krawatte?" die Antwort: "Weil Gelb so eine kranke Farbe ist." Und die
Vorstellungstheoretiker können dann sagen: "Weil die Menschen mit Gelb die
Vorstellung von Schnupfen und Erkältung verbinden, deshalb wird die gelbe
Krawatte getragen, um dem andern mitzuteilen, daß man erkältet ist. Der
Krawattenträger enkodiert seine Vorstellung von Erkältung in die gelbe
Krawatte, und der Beobachter dekodiert sie und gelangt auf diese Weise in
den Besitz der Kenntnis der Vorstellung des Krawattenträgers." Für
Merkmalssemantiker hat Gelb von nun an die semantischen Merkmale [+
MENSCHLICH, + MÄNNLICH + ERWACHSEN, + ERKÄLTET].
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