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Hans Ramge

„Privat-Bekanntmachungen“.

Zeitungsanzeigen als Elemente des politischen Prozesses
in der deutschen Revolution von 1848/49.

Eine Dokumentation anhand der Anzeigen im
„Jüngsten Tag“ und in „Wehr’ Dich!“

 

Abstract

Die Dokumentation bietet eine repräsentative Auswahl der Anzeigen mit politischem Bezug, die in der Zeit der deutschen Revolution von 1848/49 in der radikaldemokratischen Gießener Tageszeitung „Jüngster Tag“ und deren Nachfolgeblatt „Wehr’ Dich!“ veröffentlicht wurden. Versucht man, die Fülle der verschiedenartigen Anzeigen zu ordnen, ergeben sich drei große Gruppen: Anzeigen von politischen Institutionen (im weitesten Sinne), die Volksversammlungen, Veranstaltungen politischer Vereinigungen der verschiedensten Art und große Gedenkfeiern ankündigen und dazu einladen; Anzeigen von Privatpersonen, die in unterschiedlicher Weise Ereignisse, Sachverhalte und Interna öffentlich machen, wobei Gegendarstellungen, Bekanntmachungen und (Wahl)Empfehlungen als Texthandlungen charakteristisch sind; schließlich kommerzielle Anzeigen, die für revolutionsbezogene Objekte werben, Zeitungsabonnements, Bücher und Schriften anbieten. Die gemeinsame Funktion der Anzeigenvielfalt in diesen Zeitungen besteht in dem Beitrag, die politische Linke als Teil des revolutionär-demokratischen Prozesses im lokalen und im nationalen Rahmen zu steuern und zu organisieren.

 

Inhalt

1. „Der jüngste Tag“ und „Wehr’ Dich!“ als Zeitungen der oberhessischen Demokratie 1848/49 und ihre „Privat-Bekanntmachungen“

1.1 Kurze Geschichte der Zeitungen

1.2 Entwicklung des Anzeigenteils der „Privat-Bekanntmachungen“

1.3 Gegenstand der Dokumentation


2. Anzeigen von politischen Institutionen

2.1 Volksversammlungen

2.2 Anzeigen politischer Vereinigungen

2.2.1 Bürgerclub

2.2.2 Märzgesellschaft

2.2.3 Bürgerwehr

2.2.4 Republikanischer Verein

2.2.5 Demokratischer Verein

2.2.6 Turnverein

2.2.7 Arbeiterverein

2.2.8 Frauenverein

2.2.9 Weiblicher Arbeiterverein

2.3 Politisch motivierte Feiern

2.4 Zusammenfassung


3. Anzeigen von Privatpersonen

3.1 Dementi und Gegendarstellungen

3.2 Denunziationen / Öffentlichmachen

3.3 Empfehlungen

3.4 Danksagung

3.5 Zusammenfassung


4. Kommerzielle Werbeanzeigen

4.1 revolutionsbezogene Objekte

4.2 politische Zeitungen

4.3 Buchpublikationen

4.4 Sonstiges

4.5 Zusammenfassung


5. Schlussbemerkung


6. Literatur

 

 

1. „Der jüngste Tag“ und „Wehr’ Dich!“ als Zeitungen der oberhessischen Demokratie 1848/49 und ihre „Privat-Bekanntmachungen“

1.1 Kurze Geschichte der Zeitungen

Am gleichen Tag, als im Großherzogtum Hessen die Pressezensur aufgehoben wurde – am 6. März 1848 –, erschien in Gießen die erste Nummer einer neuen Zeitung: „Der jüngste Tag. eine freie Zeitung aus Hessenland“ (im Folgenden abgekürzt: JT), die die plötzlich und ungestüm entstehende Presselandschaft um eine besonders lebhafte Stimme bereicherte. Begründet lag dies in der Person des verantwortlichen Redakteurs und Hauptschreibers des Blattes, August Becker (1812-1871), des „roten Becker“.

(1) August Becker

Der war als Mitverschworener des Geheimbundes von Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig 1838 zu Zuchthaus verurteilt, danach in die Schweiz und später nach Frankreich geflohen und hatte dort freiheitlich-demokratische und sozialistische Ideen ausgearbeitet (JT: Einleitung; Kickartz 1997).

Der Tenor des Blattes ist anfangs radikaldemokratisch hymnisch-revolutionär; im weiteren Verlaufe und besonders in der Zeit des Niedergangs der deutschen Revolution wandelt sich die Zeitung zu einem linksdemokratischen Kampfblatt. Die Entwicklung spiegelt sich sehr schön im Wandel der Titelvignetten und der Titulatur in der kurzen Geschichte der Zeitung:

Beginnt die Zeitung in ihrer zweiten Ausgabe mit einem Titelkopf, auf dem sonnenüberstrahlte Trompeten den revolutionären Aufbruch bejubeln,

(2) Titelkopf „Jüngster Tag“ 7.3.48

so wird vier Monate später, Anfang Juli, als die Zeitung in mehrfacher Hinsicht umorganisiert wird, die in der Vignette ausgedrückte Symbolik deutlich radikalisiert: Nicht nur, dass die Trompeten jetzt vereindeutigt „Einheit“ und „Freiheit“ fordern: die Einbettung des Reichsadlers in Waffen und Blitze zeigt, dass die anfängliche Euphorie verflogen ist und der militante Aspekt der Revolution ins Blickfeld rückt:

(3) Titelkopf „Jüngster Tag“ 2.7.48

Mit Beginn des neuen Jahres 1849, als die Reaktion allerorts wieder an Boden gewinnt, benennt sich der „Jüngste Tag“ um in „Wehr’ Dich! Organ der demokratischen Vereine Oberhessens und des Lahnwehrbundes“ (im Folgenden abgekürzt: WD).

(4) Titelkopf „Wehr Dich!“ 3.1.49

Der Obertitel weist mit dem Imperativ auf die Defensive hin, in die die revolutionäre Bewegung geraten ist, und der, wie der Untertitel signalisiert, durch explizite Parteibindung und durch Wehrhaftigkeit begegnet werden soll. Verleger und Redaktion bleiben aber unverändert, so dass beide Zeitungen als Einheit betrachtet werden können.

Im Juli 1849 wird der Untertitel geändert in „Ein demokratisches Volksblatt für Oberhessen und Starkenburg“, damit eine Ausweitung des Verbreitungsgebiets auf die hessen-darmstädtische Provinz Starkenburg, d.h. Südhessen mit der Landeshauptstadt Darmstadt, beansprucht, die aber inhaltlich und auch im Anzeigenteil ohne Folgen bleibt.

Am 19.12.49 wird auch diese Folgezeitung eingestellt.

Politisch unterstützt der JT von Anfang an die Linke in der Nationalversammlung und damit auch – nach anfänglichen Querelen – den Gießener Deputierten Carl Vogt, der fortschreitend neben Robert Blum die Politik der Linken maßgeblich mitbestimmt. Die politische Ausrichtung des JTs lässt sich ganz verkürzt so charakterisieren: Die Zeitung ist linksdemokratisch gesonnen, tritt für den deutschen Einheitsstaat und die Republik ein und legt ein besonderes Gewicht auf die Unterstützung der Beschlüsse zu den Grundrechten und zur Verbesserung der sozialen Lage insbesondere der Arbeiterschaft und der sozial Benachteiligten.

 

1.2 Entwicklung des Anzeigenteils der „Privat-Bekanntmachungen“

Als Zeitung und meinungsbildendes Organ war der JT im mittelhessischen Raum und besonders in Gießen erfolgreich, wie die vom Verleger angegebene tägliche Auflage von 1000 Exemplaren bezeugt (JT v. 18.3.48: 48). Dennoch war die wirtschaftliche Lage der Zeitung schwach, und Verleger und Redaktion bemühten sich, durch vielfältige Neuerungen und Umorganisationen den Gebrauchswert der Zeitung zu verbessern (Ramge 2008).

Dazu gehört vor allem auch die Entwicklung des Anzeigenteils. „Wo aber bleiben die Annoncen?“ fragt der Verleger Carl Schild betrübt schon am 18.3.48, kann aber gleich anschließend unter der neu eingerichteten Rubrik „Privat-Bekanntmachungen“ die ersten kostenpflichtigen Anzeigen – „Einrückungsgebühren 2 Kr. die gespaltene Zeile“ – veröffentlichen. Die damit vollzogene mediale Trennung in einen politischen Nachrichten- und Berichtsteil einerseits und in einen kommerziellen Anzeigenteil andererseits dient vor allem der journalistischen und rechtlichen Entlastung der verantwortlichen Redakteure. Denn ein Großteil der „Privat-Bekanntmachungen“ besteht aus Anzeigen einzelner Bürger oder kleiner Interessengruppen, in denen Missstände öffentlicher oder privater Natur kundgetan werden, oft in kruder Mischung der Interessenlagen, oft mit denunziatorischem Beigeschmack und in quengelig-rechthaberischem Ton. Meist als Klagen formuliert, konkurrieren diese privaten Texte mit redaktionellen Veröffentlichungen in einer eigens geschaffenen Rubrik „Rügengericht“, in der öffentliche Unzuträglichkeiten und Fehler der Amtsträger dargestellt und kritisiert werden.

Auch wenn die Rubrik „Rügengericht“ bald wieder eingestellt wird, ist die Mischlage zwischen redaktionellem und werblichem Teil dennoch von Interesse, weil damit erkennbar wird, dass die Politisierung auch im Bereich der „Privat-Bekanntmachungen“ wirksam ist. Das ist nicht weiter erstaunlich in einer aufgewühlten und aufwühlenden Zeit, wo erstmals Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt ihre mediale Resonanz erfahren haben, und das in Print-Medien, die ihre Regeln und Konventionen allererst noch entwickeln und etablieren mussten. Insofern schlägt sich „Politisches“ in doppelter Hinsicht im Anzeigenteil nieder:

- Einmal durch die realen Privatbekanntmachungen, deren Inserenten natürlich in der Regel Sympathisanten der politischen Grundlinie des JTs sind;

- zum andern durch Anzeigen in unserem heutigen Sinne, in denen etwas mitgeteilt und/oder in denen für etwas geworben wird. Soweit diese Anzeigen nicht für frisch eingetroffene Heringe, Strohhutwäschen u.ä. werben, sondern politisch-gesellschaftliche Veranstaltungen u.ä. zum Gegenstand haben, liegt es nahe, dass auch hier in erster Linie Sympathisanten der politischen Ausrichtung des Blattes inserieren.

 

1.3 Gegenstand der Dokumentation

Untersuchenswert scheint dann,

- für welche Dinge und Sachverhalte, die mit den revolutionär-politischen Zeitereignissen verbunden sind, „Privat-Bekanntmachungen“ erscheinen,

- zu prüfen, ob und wie sich in den Anzeigen inhaltliche oder formale Schwerpunkte und/oder Entwicklungen zeigen,

- den ggf. feststellbaren Wechselbezug zwischen unterschiedlichen Anzeigentypen zu rekonstruieren.

Bei diesen Fragen spielt auch der Gesichtspunkt eine Rolle, dass die Modi der Anzeigenpräsentation noch im Fluss sind, etwa in Bezug auf die Variation von Anzeigengröße, Platzierung, Layout oder Textformulierung.

Die Haupttypen dieser Präsentationsformen sollen im Folgenden dokumentiert und mit Blick auf die eben genannten Gesichtspunkte eingeordnet werden. Die Dokumentation beruht auf der von Eckhard G. Franz 1999 in drei Bänden herausgegebenen Faksimile-Edition „Die Zeitungen der oberhessischen Demokratie 1848/49“. Der Schwerpunkt liegt in der Erscheinungszeit des „Jüngsten Tags“ bis Ende 1848, der ziemlich vollständig erhalten ist. Die „Wehr’ Dich!“- Fortsetzung weist hingegen große Lücken auf, mitunter fehlen ganze Monate, so dass schon vom Material her der das Hauptgewicht auf dem JT liegt. Zitiert wird nach dieser Ausgabe, wobei manchmal Seiten- oder Datumangaben der Zeitungsnummern zu korrigieren waren, weil sie fehlerhaft gedruckt sind.

Gesammelt wurden ca. 250 types verschiedener einschlägiger Anzeigen. Die meisten Anzeigen werden mindestens einmal wiederholt, manche vielfach, so dass die Gesamtmenge der Anzeigen, die sich mit den politischen Prozessen der Zeit im weiteren Sinn befassen auch in Bezug auf alle Anzeigen ziemlich hoch ist, überschlägig ein Viertel bis ein Drittel des gesamten Anzeigenraums einnimmt.

Die Idee für diesen Beitrag war, digitale Möglichkeiten des „Festbündels“ zu nutzen, um die verschiedenen Anzeigentypen mit politischer Perspektive in ihrer Variabilität vollständig zu dokumentieren, ohne die Überschaubarkeit ernsthaft in Frage zu stellen und sie zugleich in ihren realen Erscheinungsformen zu präsentieren. Dazu bot sich die Erstellung eines Hypertexts mit Links zu den Anzeigen an: eine HTML-Version, für deren Erstellung ich Patrick Vaillant dankbar bin.

Vollständigkeit der Dokumentation ist in zweierlei Hinsicht angestrebt:

- in Bezug auf die Texthandlungsformen: die Typologie der verschiedenen einschlägigen Anzeigen als Texthandlungen sollte vollständig sein; und

- in Bezug auf die Texthandlungsträger: die Modi der politischen Kundgabe sollten historisch und inhaltlich vollständig sein, indem alle Inserenten erfasst und in einem Inserierungs(zeit)rahmen situiert sind (mit Ausnahme der individuellen Inserenten).

Nach diesen Ordnungsprinzipien wird im Folgenden aus der Gesamtmenge eine repräsentative Auswahl vorgeführt, die die verschiedenen Funktionstypen und ihre Varianz zu demonstrieren geeignet ist. Funktional korrespondierende Anzeigen werden im Text mit Belegstellen angeführt und sind über die Faksimile-Ausgabe relativ leicht zugänglich.

In einem ersten heuristischen Zugriff lassen sich drei Typen von Anzeigen beobachten, die in unterschiedlicher Weise Aspekte des revolutionär-politischen Prozesses spiegeln:

- Anzeigen von Institutionen, in denen politisch-gesellschaftlich motivierte Veranstaltungen im weitesten Sinne angekündigt werden und/oder zu denen eingeladen wird. Es handelt sich in der Regel um Ankündigungen.

- Anzeigen von Privatleuten, in denen private Erfahrungen oder Einstellungen als Kundgabe politischen Bewusstseins oder Handelns der Öffentlichkeit über das Medium Zeitung mitgeteilt werden. Es handelt sich in der Regel um ‚Veröffentlichungen’ (im Wortsinne) oder Stellungnahmen.

- Anzeigen von kommerziellen Unternehmen, in denen zum Erwerb von symbolisch als revolutionär eingestuften Objekten oder von Objekten zur Entwicklung des revolutionären Bewusstseins aufgefordert wird. Es handelt sich in der Regel um (kommerzielle) Werbung.

Der Beitrag beschränkt sich als Dokumentation auf relativ grobe linguistische und politisch-historische Einordnungen. Eine einlässliche linguistische Text- und Stilanalyse hätte den Rahmen dieser kleinen Untersuchung bei weitem gesprengt (Hohmeister 1981; Ramge 2008). Die politisch-historischen Einordnungen sind dank Vorarbeiten (JT: Einleitung; Kickartz 1997, Wettengel 1989) im Allgemeinen leicht möglich; für Details fehlt es aber an einschlägigen Vorarbeiten zum Vereinswesen in Gießen und seinem Umland in der Zeit der nationalen Revolution. Die Dokumentation kann deshalb umgekehrt auch als kleiner Beitrag zur medialen Rekonstruktion der revolutionären Bewegung in Gießen und im oberhessischen Raum 1848/49 verstanden werden.

 

2. Anzeigen von politischen Institutionen

Ein wesentliches strukturelles Merkmal der revolutionären Bewegung seit März 1848 ist neben der raschen Entstehung der Meinungspresse die ebenso rasche Bildung von politisch engagierten Vereinigungen der verschiedensten Art (wobei neu entstehende Zeitungen oft als deren Sprachrohr dienen). Damit beginnt eine Institutionalisierung der revolutionären Bewegung, in der lokale Klubs, nationale Versammlungen und eine in Zeitungsmedien repräsentierte Öffentlichkeit zusammen die Richtung der nationalen Befreiungskämpfe zu gestalten versuchen (und letztlich scheitern).

Die unmittelbare Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen durch die Organisation von Volksversammlungen , die Organisation der politisch engagierten Bürger in regelmäßig tagenden und Veranstaltungen durchführenden Vereinigungen und die gemeinsam von verschiedenen Gruppen gestalteten öffentlichen Veranstaltungen sind die wesentlichen Einheiten, die in den Anzeigen ihren Niederschlag finden.

Entsprechend betrachten wir im Folgenden

- die Ankündigung von Volksversammlungen,

- die Ankündigung von Vereinsversammlungen und –terminen,

- die Ankündigung politisch motivierter Feiern.

 

2.1 Volksversammlungen

Die fortschreitende Institutionalisierung der politischen Prozesse lässt sich sehr schön an der Organisation der Volksversammlungen und den Modi ihrer medialen Bekanntmachung ablesen.

Die erste diesbezügliche Anzeige im JT findet sich schon am 20.4.48 (JT: 162) mit einem eher kleinen Hinweis auf eine „große Volksversammlung in Großenbuseck“, zu der „Die Bürger Großenbusecks“ „Volksfreunde höflichst einladen“.

(5) Volksversammlung Großenbuseck

Ganz ähnlich ist eine Einladung zur Volksversammlung „in den Ruinen Staufenbergs“ vom 29.4.48 (JT: 194) aufgebaut, während eine „Volksversammlung in Betreff der Parlamentswahlen“ in Lich als Bekanntmachung des Bürgermeisters von Lich formuliert ist (JT v. 22.4.48: 170)

(6) Volksversammlung Lich

Nach der Konstituierung der Nationalversammlung im Mai 1848 geht die Einladung zu Volksversammlungen in der Regel von politischen Vereinigungen aus. Der intensive wechselseitige Bezug zwischen Volksversammlungen und politischen Vereinigungen wird auch daran erkennbar, dass umgekehrt die Gründung politischer Vereinigungen auf Volksversammlungen vorbereitet werden soll wie in Butzbach (JT v. 14.6.48: 350):

(7) Volksversammlung Butzbach

So ruft der „democratische Verein zu Friedberg“ zu einer Volksversammlung nach Mehlbach ein (JT v. 27.6.48: 394), ein „Fest-Comité“ nach Petterweil in der Wetterau (JT v.3.7.48: 414) und am gleichen Tag der „Laubacher Bürgerverein“ zu einer „Volksversammlung auf dem Hessenbrückerhammer bei Laubach“ „zur Besprechung über Volksbewaffnung, Volksvereine etc.“

(8) Volksversammlungen Petterweil und Hessenbrückerhammer

Viele Anzeigen enthalten keine oder nur allgemeine Angaben über die zu beratenden Themen (so Allendorf a.d. Lumda 10.7.48 (JT: 438), Biedenkopf 2.8.48 (JT: 518), Großenbuseck 4.8.48 (JT: 526), Wilsbach v. 13.9.48 (JT: 662), Oberohmen am 18.9.48 (JT: 678), Homberg an der Ohm v. 27.9.48 (JT: 710).

Die Berichterstattung im JT ist zu einigen Volksversammlungen sehr ausführlich, besonders zu solchen, an denen die JT-Redakteure August Becker und Rudolf Fendt selbst als Redner beteiligt waren wie am Hessenbrücker Hammer und in Biedenkopf (woher Becker stammte). Da fehlt es nicht an Bemerkungen, wieviel Beifall sie für ihre überzeugenden Reden erhalten haben. Aber auch an Kritik wird nicht gespart, wenn sich eine Volksversammlung als Reinfall herausstellte. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Volksversammlung zu Friedberg am 20.8.48 (JT v. 12.8.48: 554):

(9) Volksversammlung Friedberg

Hier lief so ziemlich alles schief: Die erwarteten Mitglieder der Linken in der Nationalversammlung waren nicht gekommen, es regnete fürchterlich, und es kam zu tumultartigen Auseinandersetzungen mit konservativen Gruppen. Davon ist in der Berichterstattung nur andeutungsweise die Rede; der Sachverhalt wird aber durch eine spätere „Erklärung“ des Arbeiter-Bildungs-Vereins Friedberg vom 31.8.48 (JT: 618) deutlich:

(10) Erklärung zur Volksversammlung in Friedberg

Gießener Volksversammlungen werden merkwürdigerweise nur selten inseriert, obwohl eine Reihe stattgefunden haben, die erste schon im März 1848 (JT: E-12). Eine wurde am 2.9.48 (JT: 626) vom „Central-Ausschuß“ angekündigt. Sie sollte „auf dem Brand“ (dem heutigen Brandplatz in Gießen) stattfinden, ebenso wie eine von JT-Redakteur Fendt für den 29.9.48 einberufene Volksversammlung zugunsten „der verhafteten Demokraten“ Becker, Bopp u.a. (s.u. ...; vgl dazu JT: E-17) (JT v. 28.9.48: 714):

(11) Volksversammlung Gießen

Sie führte im Übrigen dazu, dass Fendt ins Ausland fliehen musste, um einer Verhaftung zu entgehen.

Damit ist die Zeit der großen Volksversammlungen vorbei. Eine Volksversammlung in Wieseck ein halbes Jahr später über die Grundrechte ist schon fast die Ausnahme (WD v. 8.2.49: 124). Im Mai werden noch zwei Versammlungen in Butzbach und in Heuchelheim angekündigt (WD v. 11.5.49: 382) ohne jede Tagesordnung, dafür erstmals in zweispaltigem Format, ebenso wie letzte im WD inserierte „Volksversammlung auf dem Staufenberg“ zu den bevorstehenden Landtagswahlen (WD v. 6.10.49: 606), deren Verlegung vom 7.10. auf den 14.10.49 mit einem großformatigen (leider unvollständig erhaltenen) Dreispalter angekündigt wird (WD v. 12.10.49: 618):

(12) Volksversammlung Staufenberg

Fassen wir die Beobachtungen zu den Anzeigen für „Volksversammlungen“ zusammen:

- Weitaus die meisten finden sich in der Zeit, als sich die Nationalversammlung herausbildet und in deren ersten aktiven Monaten bis September 1848. Danach wird nur noch selten zu solchen Versammlungen eingeladen. Die „Volksversammlungen“, anfangs Manifestation spontaner Volksbewegungen, werden rasch, wie die Einladenden in den Anzeigen ausweisen, zu Veranstaltungen politischer Vereinigungen und damit – auch im Spektrum der in der Paulskirche vertretenen politischen Richtungen – parteilich. Im JT wird ausschließlich für Veranstaltungen der demokratischen Linken inseriert. Die Redakteure des JTs treten als politische Agitatoren auf vielen dieser Veranstaltungen als Redner auf.

- In der Hauptphase etabliert sich die Konvention, in den Anzeigen wenigstens grob Thema und Tagesordnung der Versammlungen anzukündigen. Das Format der Anzeigen ist bis fast zum Schluss relativ einheitlich: Einspalter, in denen das Wort „Volksversammlung“ und meist der Versammlungsort fett und in größerer Schrift wiedergegeben werden. In der Endphase treten vereinzelt Mehrspalter auf.

- Auffällig ist, dass die inserierten Volksversammlungen fast ausschließlich von Gruppen und Vereinigungen aus dem Gießener Umland angekündigt und organisiert werden. Betrachtet man die Versammlungsorte, so reichen sie von der oberen Lahn (Biedenkopf) bis in den Vogelsberg (Oberohmen) und nach Süden bis weit in die Wetterau (Petterweil als südlichster Ort). Das zeigt im Übrigen, dass auch das Verbreitungsgebiet des JTs sich über die ganze mittelhessische Region erstreckte.

Der kommunikative Zweck der Anzeigen mit Ankündigungen von Volksversammlungen in JT und WD besteht in der Mobilisierung von Sympathisanten radikaldemokratischer politischer Bestrebungen mit dem Ziel der Beeinflussung des regionalen und nationalen politischen Prozesses.

 

2.2 Anzeigen politischer Vereinigungen

JT und WD sind die publizistische Stimme der Radikaldemokraten in Gießen und Oberhessen. Entsprechend sind es auch ausschließlich demokratisch ausgerichtete Vereinigungen, die Anzeigen im JT platzieren. Die Anzeigen lassen sich differenzieren in solche, die zu Parteiveranstaltungen im engeren Sinne einladen, und solche, die ein Publikum zumindest auch ohne engere parteiliche Bindung ansprechen sollen.

Wir ordnen im Folgenden nach den politischen Vereinigungen. Das Vereinswesen der Zeit in Gießen ist in groben Zügen bekannt (Wettengel 1989; JT: E-12). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine Fülle von verschiedenen demokratischen Vereinen gab. Damit „besaß Gießen eines der mannigfaltigsten demokratischen Vereinswesen der Revolutionszeit.“ (JT: E-12). Die Anzeigen im JT geben dazu fragmentarische Hinweise über die Vereinsaktivitäten, wie schon die Inserate des ersten einschlägigen Vereins zeigen:

2.2.1 Bürgerclub

Als erste politisch orientierte Vereinigung präsentiert sich am 1.4.48 der Bürgerclub (JT: 96) mit einer Gründungsmitteilung:

(13) Gründung des Bürgerklubs

Dann erfahren wir aber von der Existenz des Bürgerclubs erst wieder, als er mit Ende der revolutionären Bewegung am 23.11.49 zu einer Art Insolvenzveranstaltung einlädt (WD: 664):

(14) Auflösung des Bürgerklubs

2.2.2 Märzgesellschaft

Die „Märzgesellschaft“ (abwechselnd auch: „Märzverein“) weist mit ihrem Namen auf die revolutionäre Bezugszeit hin und versteht sich als Organisation der Demokraten. Sie inseriert häufig und mit unterschiedlichen Themen im JT, zuerst am 28.7.48 (JT: 502) mit der Aufforderung, eine „Addresse an den Abgeordneten der Stadt Gießen Professor Dr. Hillebrand ... betreffend ‚die Neugestaltung der inneren Einrichtung der Universität’“ zu unterschreiben.

(15) Adresse an Hillebrand

(Es ist unklar, ob damit die im JT: 568 am 17.8.48 wiedergegebene ‚Adresse’ gemeint ist, da diese mit einer Universitätsreform nichts zu tun hat, oder ob die „Addresse“ unter der Hand zu einer allgemeinen Danksagung an den Landtagsabgeordneten Hillebrand umfunktioniert worden war.)

Die zahlreichen Einladungen zu Mitgliedsversammlungen (5.8.48 (JT: 530), 9.8.48 (JT: 542), 12.8.48 (JT: 554), 18.10.48 (JT: 778), 25.10.48 (JT: 802), 7.12.48 (JT: 946) ) zeichnen sich dadurch aus, dass präzise Themen bzw. Tagesordnungen angegeben werden. Dass auch Geselligkeit gepflegt wurde, bezeugt eine Anzeige vom 19.8.48 (JT: 578):

(16) Fest auf dem Hardthof

Die Inserate erscheinen allesamt zwischen Ende Juli und Anfang Dezember 1848. Fünf Monate später, am 13.5.49 (WD: 388), wird in einem Zweispalter der Vereinsbeschluss veröffentlicht, dass alle Vereinsmitglieder (bis 45 Jahre) der Gießener Bürgerwehr beitreten müssen.

(17) Mitgliedschaft in der Bürgerwehr

Das zeigt nicht nur die fortschreitende Militanz der revolutionären Verzweiflung, sondern auch die enge Verbindung des Märzvereins mit der Bürgerwehr.

2.2.3 Bürgerwehr

Die Bürgerwehr Gießen (auch: „Bürgergarde“) tritt am 13.9.48 (JT: 662) mit einem großformatigen, die ganze Seite zweispaltig füllend, „Fest=Programm zur Fahnen=Weihe der Bürgerwehr Giessen“ erstmals in Anzeigen in Erscheinung:

(18) Fahnenweihe der Bürgerwehr

Dieses bedeutende öffentliche Ereignis findet seinen Nachhall nicht nur in einem eine Woche später stattfindenden Ball, zu welchem „Alle Frauen und Jungfrauen Gießens, welche sich durch Beiträge oder Arbeiten an der, der hiesigen Bürgerwehr geweihten Fahne betheiligten, ... höflichst eingeladen“ werden (JT v. 21.9.48: 690), dazu nochmals im Oktober (JT v. 20.10.48: 786). Darüber hinaus wird ein Ball zur Jahresfeier veranstaltet (WD v.15.9.49: 574):

(19) Jahresfeier der Fahnenweihe

womit die Bürgerwehr aus der Annoncenwelt verschwindet.

Über die Festlichkeiten hinaus tritt die Bürgerwehr nur dreimal mit Anzeigen in Erscheinung: Mit Mitteilungen zur Wahl eines neuen Obersten (JT v. 14.9.48: 666; WD v. 10.1.49: 28), Hinweise zu einem „Verbrüderungsfest“ mit Bürgerwehren der Umgebung (Marburg, Wetzlar) (JT v. 23.11.48: 902) und schließlich die Aufforderung, überlassene Waffen abzugeben (WD v. 9.11.49: 644):

(20) Waffenabgabe

Damit findet auch die Geschichte der Bürgerwehr ihr Ende.

2.2.4 Republikanischer Verein

Der „Republikanische Verein“ ist linksdemokratisch ausgerichtet und ist mit August Becker, Rudolf Fendt und den Büchner-Brüdern Ludwig und Alexander ziemlich identisch mit den Redakteuren und Hauptbeiträgern zum JT. In Annoncen des JTs tritt er hauptsächlich mit der bloßen Mitteilung auf, wann und wo die nächste Sitzung des Vereins stattfindet; zuerst am 27.4.48 (JT: 186):

(21) Versammlungstermin 1

Das wiederholt sich, mit geringfügigen grafischen Umgestaltungen des Layouts, vielfach, z.B. am 5.5.48 (JT: 214),

(22) Versammlungstermin 2

bis zum 30. August 1848 (JT v. 29.8.48: 609) zu einer „Generalversammlung“ eingeladen wird,

(23) Generalversammlung

die nach einer erneuten Generalversammlung am 13. September 1848 zum Anschluss an den „demokratischen Verein“ (s.u. 2.2.5) führt (JT v. 16.9.48: 674):

(24) Anschluss an den demokratischen Verein

Der Anschluss ist Ergebnis der Bemühungen, die verschiedenen radikaldemokratischen Vereinigungen zu einer schlagkräftigen überregionalen Kraft zu vereinigen, ein Bemühen, das in der Organisation eines „Demokraten-Congresses“ am 2. September 1848 in Gießen einen Höhepunkt findet. Dafür wird zunächst in einer gemeinsamen Ankündigung der „drei demokratischen Vereine“ am 24.8.48 (JT: 594) geworben:

(25) Demokratische Vereine Oberhessens

und dann in einer ganzseitig zweispaltigen Anzeige am 30.8.48 (JT: 614):

(26) Demokraten-Kongress

Dies ist die erste Anzeige politischen Inhaltes im JT in diesem Großformat. Sie gibt formal das Modell ab für ähnliche später folgende wie das zur Fahnenweihe der Bürgerwehr (s.o. (18)).

2.2.5 Demokratischer Verein

Ein ausdrücklich „demokratisch“ genannter Verein erscheint erstmals in einer Terminmitteilung am 16.10.48 (JT: 770):

(27) Vereinssitzung

und noch einmal am 6.11.48 (JT: 842), während im Dezember 1848 mehrfach ein „akademischer Demokratenverein“ inseriert, zuerst am 4.12.48 (JT: 866):

(28) akademischer Demokraten-Verein

ferner am 7.12.48 (JT: 946) und am 15.12.48 (JT: 970).

Nach den Vereinigungen auf dem „Demokraten-Kongreß“ inseriert gelegentlich der „Bezirksausschuß der demokr. Vereine“, so bei der Ankündigung eines Balles zu Ehren der Freilassung Beckers u.a. aus der Untersuchungshaft (JT v. 5.12.48: 938)( s.u. (52)):

(29) Bezirksausschuss der demokratischen Vereine

Nur nebenbei sei erwähnt, dass am 16.10.48 ( JT: 878) ein „Demokratischer Verein zu Staufenberg“ zu einer Sitzung einlädt.

2.2.6 Turnverein

Am 27. Mai 1848 rekonstituiert sich der bis März verbotene Turnverein (JT v. 25.5.48: 282), tritt in Anzeigen aber lange Zeit nur mit seinen Sportaktivitäten und Festen ins Blickfeld, bis in zwei Anzeigen im Dezember 1848 auch die politische Perspektive hervortritt. Am 13.12.48 (JT:966) werden die Mitglieder, „namentlich die demokratisch Gesinnten“, zu einer Generalversammlung geladen:

(30) Generalversammlung

auf dem „mit bedeutender Mehrheit (der) Beschluß gefaßt (wird), sich dem demokratischen Turnerbund mit dem Vorort Hanau anzuschließen.“ (JT v. 16.12.48: 978).

Die Politisierung des Turnvereins wird auch deutlich in einer Ankündigung des „Turner-Casinos“ vom 24.8.49 (WD: 546) mit einer Feier für den wieder einmal aus dem Gefängnis entlassenen August Becker (vgl. JT: E-23):

(31) Turner-Casino

2.2.7 Arbeiterverein

Der „Arbeiterverein“ inseriert ab 13.5.48 (JT:242) in Kleinanzeigen seine Sitzungen, auch seinen Weihnachtsball (JT v. 29.11.48: 918 u.ö.), deutet aber nur in seiner letzten Kleinanzeige vom 17.1.49 (WD: 52) sein politisches Interesse an, indem über die verabschiedeten Grundrechte und eine damit verbundene öffentliche Feier (s.u. (36)) gesprochen werden soll:

(32) Versammlung über Grundrechte

(Es ist unklar, ob eine Beratung der „heimathsberechtigten Taglöhner“ schon im Mai 1848 (JT v. 16.5.48: 250) etwas mit dem Arbeiterverein zu tun hat.)

2.2.8 Frauenverein

Am 26.10.48 (JT: 806) wird zu einer Mitgliederversammlung des „Frauen-Vereins“ geladen, offenbar eine Neugründung, wie aus einer kurz darauf erscheinenden Anzeige vom 4.11.48 (JT: 838) hervorgeht:

(33) Mitgliedschaft im Frauenverein

2.2.9 Weiblicher Arbeiterverein

Ein weiterer Frauenverein, der „weibliche Arbeiterverein“, tritt durch die Mitteilung seiner Vereinsgründung am 31.1.49 (WD: 96) einmalig ins Blickfeld:

(34) Weiblicher Arbeiterverein

Betrachten wir das Spektrum der Anzeigen dieser Vereinigungen zusammenfassend, so muss man sich zunächst klar machen, dass die Dokumentation der Vereinsanzeigen wohl typologisch vollständig ist, nicht aber die vielfältigen Wiederholungen und oft auch (leichten) Variationen des Layouts berücksichtigt. Was in der Dokumentation als ‚mager’ erscheinen könnte, vermittelt im Lesen von „Privat-Bekanntmachungs“-Sequenzen durchaus den Eindruck der Fülle und Vielfältigkeit des Vereinslebens.

- Immerhin spiegeln die Anzeigen der politischen Vereinigungen den Weg von der politischen Euphorie des Sommers 1848 mit einer Fülle von Aktivitäten verschiedener Vereine über das Bemühen zu Konzentration in schlagkräftigeren größeren Verbänden im Herbst 1848 hin zu einer allmählichen Lähmung aller Aktivitäten, was sich auch im Rückgang der Anzeigen mit Beginn des neuen Jahres 1849 zeigt. In der Spätphase treten Frauen-Vereinigungen hervor.

- Neben den zahlreichen politischen Zusammenkünften darf man die geselligen Ereignisse (Bälle) nicht übersehen, die jenseits allen Politisierens die sozialen Aspekte bürgerlichen und proletarischen Lebens prägen und die in den Anzeigen ebenfalls ihren deutlichen Niederschlag finden.

- Im Anzeigen-Format treten die meisten Anzeigen der Vereinigungen eher klein und bescheiden auf: Selten erfolgen typografisch stärkere Hervorhebungen. Großformatige und auffallende Anzeigen sind die Ausnahme und für besondere Ereignisse wie den Demokraten-Kongress und die Fahnenweihe der Bürgerwehr reserviert.

Der kommunikative Zweck der Anzeigen politischer Vereinigungen besteht in der Regel darin, als Vereinsmitteilungen über regelmäßige und außergewöhnliche Aktivitäten des Vereins zu informieren und Mitglieder (oft auch Sympathisanten) dazu einzuladen.

 

2.3 Politisch motivierte Feiern

Mehrfach finden sich großformatige Ankündigungen von Feiern, die von den radikaldemokratischen Vereinigungen und Bewegungen initiiert und gestaltet sind, ohne dass ein einzelner Verein dabei hervortritt. So erscheint am 19.10.48 (JT: 890) das „Programm für Begehung der Trauerfeier zu Ehren des gemordeten Robert Blum“

(35) Blum-Feier

nachdem bereits tags zuvor „die Mitglieder der demokratischen Vereine“ zu einer Gedächtnisfeier eingeladen waren (JT v. 18.10.48: 886). Eher kurios ist eine Anzeige vom 10.1.49 (WD: 28), in der die „Gewinnste“ bei der „Verlosung der bei der Todenfeier Robert Blum’s verwandten Gegenstände“ bekannt gegeben werden.

Am 17.1.49 (WD: 52) lädt „Das Comite“ zur „Feier der Publication der Grundrechte“ ein:

(36) Grundrechte-Feier

Am 21.2.49 (WD: 168) schließlich erfolgt zweispaltig eine „Aufforderung zur Feier des Jahrestages der Proklamierung der französischen Republik“ (im Februar 1848) ohne erkennbaren Einladenden:

(37) Feier zur Proklamierung der Französischen Republik

wohingegen zwei Tage später (WD v. 23.2.49: 176) „die demokratischen Vereine“ zu einem „Revolutions-Bankett“ einladen:

(38) Revolutions-Bankett

Insgesamt auffällig bei dieser relativ kleinen, optisch aber hervortretenden Gruppe von Anzeigen ist,

- dass sie in gewisser Hinsicht überparteilich angelegt sind, jedenfalls in der Regel nicht einer einzigen politischen Vereinigung zugeordnet werden sollen, auch wenn es sich durchweg um Veranstaltungen der Demokraten handelt,

- dass sie tendenziell nach dem Ende der positiven Revolutionsperiode erscheinen mit Blums Ermordung als Wendepunkt,

- dass die Besonderheit der Veranstaltungen in der Größe und der typografischen Sorgfalt der Anzeigen ausgedrückt wird. Der kommunikative Zweck der Inserate besteht deshalb m.E. darin, dass durch ihre Aufwändigkeit die solidarisierende politische Funktion symbolisch hervorgehoben werden soll, der mit dem Befolgen der Einladung verbunden ist.

 

2.4 Zusammenfassung

Insgesamt kann man die Anzeigen politischer Institutionen so charakterisieren:

Als Sprachhandlungen sind die Inserate der politischen Vereinigungen in aller Regel als Ankündigungen zu verstehen, in denen ein bevorstehendes Ereignis mitgeteilt wird. Adressiert sind diese Ankündigungen an Leser des „Jüngsten Tags“ (bzw. des „Wehr’Dich!“), die Mitglieder oder Sympathisanten der betreffenden Institution sind. Entsprechend der politischen Orientierung der Zeitung inserieren hier durchweg nur politische Institutionen, die mit dem linken Profil der Zeitung sympathisieren und es unterstützen.

Die Anzeigen vermitteln inhaltlich das Bild einer solidarischen Gemeinschaft der linken Bewegung, optimistisch in der Aufbruchszeit, im Laufe der Zeit gedämpfter und zunehmend militanter in der Defensive. Reale oder potenzielle interne Konflikte werden nicht einmal angedeutet, so dass das Bild einer heilen politischen Binnenwelt entsteht: Die Anzeigen spiegeln den Verlauf der revolutionären Bewegung in einem engen lokalen Bereich, wobei auch zunehmend eine Verengung auf die Vereinigungen in der Stadt Gießen stattfindet.

Was die Form der Anzeigen angeht, lässt sich beobachten, dass sich fortschreitend eine Tendenz herausbildet, das Gewicht und die politische Funktion des Inhalts symbolisch in Größe und typografischer Binnengestaltung der Anzeige zu symbolisieren.

 

3. Anzeigen von Privatpersonen

Die heile linke Vereinswelt mit ihren fortschrittlich-politischen und geselligen Aspekten erhält deutliche Risse, wenn man die meist klein gedruckten und im Layout anspruchslosen „Privat-Bekanntmachungen“ einzelner Schreiber hinzunimmt. Der inflationäre Gebrauch, mit dem das neu erworbene Recht der freien Meinungsäußerung sich in derartigen Annoncen auslebt, umfasst natürlich auch den politischen Bereich und seine Artikulation in den Vereinsmitteilungen. Aus der Fülle dieser Anzeigen, die sich auf die gesamte bürgerliche, besonders kleinbürgerliche Lebenswelt in Gießen und seinem Umland beziehen, greifen wir nur diejenigen heraus, die sich unmittelbar auf die politisch-soziale Welt Gießens beziehen, wie sie in den Vereinsmitteilungen positiv kondensiert erscheint. Hier muss es genügen, für die verschiedenartigen Texthandlungen jeweils nur wenige Beispiele heranzuziehen.

Als gemeinsames Merkmal dieser Anzeigen kann man herausstellen, dass sie über das Medium Zeitung etwas öffentlich machen, was sonst entweder nicht öffentlich würde oder nur über mündliche Kommunikation einen (diffusen) Adressatenkreis erreichen könnte (z.B. über Gerüchte). Insofern stellt das unzensierte Medium eine Öffentlichkeit her, in der erst noch Konventionen zu entwickeln sind, was in diesem Sinne öffentlich werden darf oder soll und was nicht.

Ein gutes Beispiel dafür bieten interne Spannungen, aus oft lächerlich geringem Anlass, wie sie zahlreiche Zuschriften abbilden, die sich mit der Bürgerwehr und ihrer Organisation befassen. Ein Bericht in der Beilage zu Nr. 15 des JTs (die leider nicht erhalten ist) führt ab dem 24.3.48 zu einer ganzen Reihe von Darstellungen und Gegendarstellungen, unterstützenden und widersprechenden Erklärungen Einzelner und kleiner Gruppen von Mitgliedern der Bürgerwehr, die sich mit dem Verhalten und der Behandlung der „Rotte 1“ der Bürgerwehr befassen. (JT v. 24.3.48: 68; JT v. 25.3.48: 72; JT v. 27.3.48: 76; JT v. 28.3.48: 80) und die durch wechselseitige Vorwürfe und wechselseitiges Bestreiten der Vorwürfe gekennzeichnet ist. Der Sachverhalt, ein angeblich falsches Verhalten der Rotte 1, ist zu banal, um hier des Langen und Breiten behandelt zu werden. Interessant ist eben nur, dass interne Konflikte (hier der Bürgergarde) öffentlich als Streitfall ausgetragen werden.

Interessanter ist, dass „viele Nationalgardisten“ in einer Anzeige vom 25.8.48 (JT: 363) beklagen, dass keine basisdemokratische Wahl der Obersten vorgenommen wurde:

(39) Nationalgardisten

Ähnliche Probleme im Verhältnis von Soldaten und Offizieren finden sich am 9.5.48 (JT: 226) und am 2.12.48 (JT:930). Insgesamt hat sich die Bürgerwehr wohl nicht immer vorbildlich aufgeführt, wie der folgenden „Erklärung“ vom 7.9.48 (JT: 642) verschleiert zu entnehmen ist:

(40) Vorfälle mit Angehörigen der Bürgerwehr

Aufs Ganze gesehen lassen sich drei große Gruppen unterscheiden, durch die die Anzeigen von Privatpersonen gekennzeichnet sind.

 

3.1 Dementi und Gegendarstellungen

In verschiedenen situativen Zusammenhängen veröffentlichen Bürger Erklärungen, dass sie mit bestimmten Dingen nichts zu tun hätten. Diese Dementis beziehen sich manchmal auch politische Aspekte und intendieren eine Distanzierung vom Zustand, den sie dementieren. So dementiert ein Bürger am 29.4.48 (JT: 194), ein Schreiben mit unterschrieben zu haben:

(41) Dementi einer Unterschrift

oder ein A. Dickore am 8.12.48 (JT: 950) dementiert das Gerücht, er habe als Zeuge gegen August Becker ausgesagt; ein Wahlmann dementiert, er habe seine Stimme bei der Deputiertenwahl zur Nationalversammlung August Becker gegeben (JT v. 20.5.48; 266); ein H. Knispel dementiert, der Verfasser eines Artikels zu sein (JT v. 30.5.48: 294) u.ä. (JT v. 5.10.48: 734).

Ein eher heiteres Dementi, dessen Hintergrund allerdings nicht ganz klar ist, findet sich im JT v. 5.12.48: 938 im Zusammenhang mit der Freilassung Beckers et al. aus der Untersuchungshaft (su. (52)):

(42) Ständchen

Mediengeschichtlich interessant ist, dass es in diesem Zusammenhang auch zu Gegendarstellungen von Lesern kommt, die in der Form heutigen Leserbriefen sehr ähnlich sind. Meist geht es um die Wahlen zur Nationalversammlung. So erklärt der Fellingshäuser Bürgermeister am 10.5.48 (JT: 230) einen Wahlbericht im JT vom 4.5.48 (JT: 209), der den Bürgermeister der Wahlmanipulation bezichtigt, für „niederträchtige und erbärmliche Lügen“:

(43) Dementi der Wahlmanipulation in Fellingshausen

Differenzierter ist die Gegendarstellung des Licher Bürgermeisters Vogt zur gleichen Wahl (JT v. 9.5.48: 226):

(44) Gegendarstellung zu Wahlmanipulation in Lich

Diese wird allerdings in einer anonymen „Nochmalige(n) Erklärung“ am 11.5.48 (JT:234) wiederum bestritten:

(45) Kontroverse zur Wahl in Lich

so dass eine neue mediale Sequenz Bericht – Gegendarstellung – Kommentierung der Gegendarstellung entsteht. (Ähnlich zu Laubach: JT v. 22.5.48: 270, Forts. 294). Eine letzte (geringfügige) Gegendarstellung findet sich am 12.12.48 (JT: 962).

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Hauptzeit für derartige Dementis und Gegendarstellungen im Anfang der revolutionären Bewegung liegt, danach werden sie deutlich seltener.

Kommunikativer Zweck dieser Texte ist die aktive Positionierung in den politischen Prozessen der Zeit.

 

3.2 Denunziationen / Öffentlichmachen

Das gilt in gewisser Weise auch für die jetzt anzuführenden Texte. Ihr gemeinsames Merkmal ist, dass sie eine Person, einen Zustand oder Sachverhalt so in der Öffentlichkeit darstellen, dass ein Fehler oder ein Mangel als ein Defizit gegenüber den geltenden Normen und Konventionen des revolutionären Prozesses benannt und damit öffentlich bloß gestellt wird. Klagen und Anklagen über Personen oder Zustände finden sich in den Bürgertexten der Privat-Bekanntmachungen zuhauf; sie sind oft krude und von hässlicher Kleinlichkeit und Spießbürgerlichkeit geprägt: private Rechnungen werden öffentlich beglichen, privater Streit öffentlich gemacht.

In diesem Kontext sind die politisch motivierten Denunziationen zu sehen. Sie enthalten über diese schäbige Perspektive hinaus aber auch ein wenig aufklärerisches Potenzial, indem sie unangemessene soziale und politische Verhaltensweisen thematisieren.

Die Serie derartiger Anzeigen wird am 3.5.48 (JT: 206) mit einer Annonce Alexander Büchners (eines Bruders Georg Büchners) eröffnet, der einen tätlichen Angriff von „Republikanerfeinden“ beklagt:

(46) Mitteilung Alexander Büchners

Bevorzugt angeklagt wird das Fehlverhalten solcher, die den revolutionären Prozess kritisieren oder verächtlich machen, so am 16.5.48 (JT: 250) anonym:

(47) Mitteilung über Studentenverhalten

Schändlich ist, keine Anteilnahme am Tode Robert Blums zu zeigen (JT v. 28.11.48: 914; JT v. 6.12.48: 942) oder die Vertreibung Rudolf Fendts (s.o. (11)) nicht zu beklagen, wie es „Ein Landmädchen aus Wieseck“ in einer ziemlich verworrenen „Oeffentlichen Bekanntmachung“ tut (WD v. 24.1.49) (wobei das Bemerkenswerteste daran eben die Tatsache ist, dass „ein Landmädchen aus Wieseck“ eine solche Annonce schaltet).

Ein Nachbarschaftsstreit zwischen dem hessisch-darmstädtischen Daubringen und dem kurhessischen Treis wird mit der deutschen Einheit in Verbindung gebracht: „Was soll (...) daraus werden aus der deutschen Einigkeit, wenn Darmstädter den Kurhessen die Wälder ruinieren und die Straßen unsicher machen?“ (JT v. 20.6.48:370)

Ein wenig an noch nicht allzu lang vergangene Zeiten erinnert hingegen die in einer Anzeige vom 11.5.49 (WD: 382) dargestellte Weigerung des Universitätsrektors, einen Raum für eine revolutionäre Studentenversammlung zur Verfügung zu stellen:

(48) Mitteilung über eine Entscheidung der Universität

Es ist übrigens bemerkenswert, dass alle diese Denunziationen bis auf die erste (s.o. (45)) anonym erschienen sind, was wiederum zeigt, dass sich die Schreiber der Problematik (und der potenziellen Folgen) ihrer Denunziation durchaus bewusst waren.

Kommunikativer Zweck dieser Anzeigen ist das Öffentlichmachen eines Zustands, Sachverhalts oder Ereignisses, den der Inserent für schlecht hält, mit dem Ziel der Veränderung oder künftigen Vermeidung.

 

3.3 Empfehlungen

Eine letzte Gruppe solcher Privatanzeigen enthält Empfehlungen, insbesondere im Zusammenhang mit den diversen Wahlen, die in der Zeit der deutschen Revolution stattfanden. Die Texte entsprechen in der Intention durchaus den heutigen Wahlempfehlungen in Kleinanzeigen während der Wahlkämpfe. Eine Zwischenstellung zwischen Streit mit jemandem und Wahlempfehlung liegt im ersten dieser Texte vor (JT v. 1.4.48: 96), den „Ein Freund Vogts“ veröffentlicht:

(49) Wahlempfehlung zugunsten Vogts

Dem folgen weitere Wahlempfehlungen zugunsten der Wahl Carl Vogts als Deputierter des Wahlbezirks Biedenkopf für die Nationalversammlung, so am 28.4.48 (JT: 190):

(50) Wahlempfehlung eines Hinterländers zugunsten Vogts

Weitere finden sich im JT v. 4.5.48: 210 und im JT v. 13.5.48: 242.

Nur vereinzelt gibt es Wahlempfehlungen zugunsten anderer Personen wie eine etwas obskure zugunsten des Färbers Nispel in Lich, eines Konservativen, am 29.12.48 (JT: 1010):

(51) Wahlempfehlung zugunsten des Färbers Nispel

oder eine gegen einen konservativen Kandidaten in Grünberg (JT v. 25.4.48: 178).

Der kommunikative Zweck dieser Anzeigen besteht in der Beeinflussung von Lesern in Hinblick auf eine (Wahl)Option.

 

3.4 Danksagung

Einen Sonderfall stellt die „Danksagung“ dar, die August Becker und seine mitinhaftierten Genossen Bopp, Dernburg und Leistner am 4.12.48 (JT: 934) nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft veröffentlichen:

(52) Danksagung Beckers et al.

 

3.5 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man sagen, dass

- die politisch gerichteten Anzeigen von Privatpersonen mit dem Ziel des Öffentlichmachens des vom Inserenten Beanstandeten von lächerlichen Idiosynkrasien bis zur Aufdeckung öffentlicher oder institutioneller Missstände reichen, ohne dass es erkennbare Regeln gibt, was inseriert werden kann und was nicht;

- dass die Hauptmasse derartiger Privatanzeigen in den ersten Monaten der Revolution bis Herbst 1848 erscheint und ab 1949 in der Menge rapide zurückgeht,

- dass diese Anzeigen in aller Regel als Kleinanzeigen ohne nennenswerten typografischen Aufwand erscheinen und dass sich auch im Laufe der Zeit daran nichts ändert.

 

4. Kommerzielle Werbeanzeigen

Wie immer und überall finden sich Geschäfte, die aus der neuen politischen Situation ihren Nutzen zu ziehen trachten. Bei den Anzeigen des JTs finden sich drei verschiedene Gruppen von Anzeigen, die aus kommerziellem Interesse aufgegeben sind, also Anzeigenwerbung im klassischen Sinne sind:

- Werbung für revolutionsbezogene Objekte,

- Werbung für politische Zeitungen,

- Werbung für revolutionsbegleitende und –unterstützende Literatur von Verlagen

 

4.1 revolutionsbezogene Objekte

Jede neue Bewegung erzeugt ihre eigenen Symbole, die sich Sympathisanten zulegen, um ihre Zugehörigkeit auch nach außen zu zeigen. Die Bürgerwehr als Ordnungs-Symbol der neuen Macht ist besonders ausgestattet. Ihre (nationalen) Symbole sind rasch auf dem Markt. Schon am 24.3.48 (JT: 68) wird inseriert (nach JT: 64)

(53) Schärpen u.a.

dazu auch „Der deutsche Reichsadler als Transparent“ (JT v.3.4.48: 102) und – nicht zu vergessen – „Die neuesten seidenen Herrenbinden, darunter schwarz-roth-goldnen“ (JT v. 8.4.48: 122). Das Café Lind ist auch dabei (JT v. 17.5.48: 254) mit

(54) Parlaments-Schokolade

Ob ein im Mai auf den Markt gebrachter „Vogt-Canaster“ zu Ehren (oder Leid) des Gießener Deputierten benannt ist, ist nicht ganz klar (JT v. 26.5.48: 286):

(55) Vogt-Canaster

Zumindest verspricht ein Bildnis Vogts Gewinn und wird ab August (zuerst am 23.8.48:590) in preislich unterschiedlichen Varianten gleichzeitig beworben (JT v. 25.8.48: 598):

(56) Bild Vogts

Porträts werden auch in Grünberg angeboten (JT v. 21.8.48: 582), das des in der März-Revolution aus dem Amt gejagten verhassten großherzoglich-hessischen Staatsministers du Thil sogar „gratis“:

(57) Porträts von Politikern

Vielfach werden „Die neusten Frankfurter Carricaturen“ offeriert (JT v. 11.9.48: 654), aber auch „Der letzte Brief R.Blum’s an seine Frau“ als Autographie für drei Kreuzer (WD v. 30.1.49: 92).

Der kommunikative Zweck dieser Anzeigen besteht darin, Sympathisanten der Revolutionsbewegung zum Erwerb von symbolbehafteten Objekten zu veranlassen.

 

4.2 politische Zeitungen

Die meisten der zahlreichen Zeitungen der ab März 1848 aufblühenden Meinungspresse waren – wie auch der „Jüngste Tag“ – zunächst durchaus als regionale Organe konzipiert. Wollten sie bestehen, mussten sie eine auskömmliche ökonomische Basis herstellen. Dazu gehörte die Ausbreitung des Verbreitungsgebiets mit Tendenz zu überregionaler, ja nationaler Geltung. Dass es dabei in der Regel nicht zu massiven Konkurrenzkämpfen kam (im Unterschied zu den lokalen Verhältnissen, wo die parteipolitische Konkurrenzpresse erbittert bekämpft wurde), ist zwei medialen Besonderheiten der Zeit zu verdanken. Zum einen: den Lesegewohnheiten der Zeit entsprechend, hielten viele Bürger mehrere Tageszeitungen gleichzeitig, zum andern tauschten politisch befreundete Zeitungen hemmungslos ihre Nachrichtenteile und Berichte aus (schrieben wechselseitig voneinander ab, allerdings in der Regel mit Quellenangabe (Ramge 2008)).

Insofern ist es nicht erstaunlich, dass so viele Konkurrenzblätter im JT um Abonnements warben, meist natürlich zu Quartalsbeginn, wenn neue Abonnements aufgelegt wurden. Auffallend ist die Zunahme dieser Werbung, beginnend im Juli 1848, verstärkt zum Jahreswechsel 1848/49 und dann im neuen Jahr. Auffallend ist auch die fortschreitende Professionalisierung in inhaltlicher Struktur und formalem Layout. In den Presseanzeigen spiegelt sich die Entwicklung des Anzeigenwesens in einem kurzen Zeitraum exemplarisch. Während die Vereinsmitteilungen und Privatanzeigen keine spektakuläre Entwicklung aufweisen – mit Ausnahme der besprochenen Großformate bei besonderen Anlässen (s.o. 2.3.) – zeigen die Anzeigenformate der Zeitungen eine kontinuierliche Entwicklung. Politisch stehen alle inserierenden Blätter links, sind also solidarisch befreundet.

Die Entwicklung wird hier nur an einem Beispiel, dem der „Neuen Deutschen Zeitung“ dokumentiert, die vom Leske-Verlag in Darmstadt herausgegeben wird und als Darmstädter Hauptstadt-Zeitung natürlich ein Interesse hat, in allen hessischen Provinzen gelesen zu werden. Redakteur ist Otto Lüning, der im Oktober 1849 in einem Prozess wegen Beleidigung des Ministeriums freigesprochen wurde (WD v. 12.10.49: (615)).

Die erste Anzeige ist als Kleinanzeige am 11.7.48 (JT: 442) erschienen:

(58) Neue Deutsche Zeitung 1

In größerer Schrift und mit dem Zusatz „Organ der Demokratie“ erscheint am 21.8.48 (JT: 582) eine Einladung zum Abonnement:

(59) Neue Deutsche Zeitung 2

und am 10.10.48 (JT: 750) als auffälliger Zweispalter ohne direkte Aufforderung um Abonnement, aber erstmals mit Charakteristik ihrer Zeitungsmerkmale und als Verlagsankündigung verbunden mit zwei weiteren Zeitungen des Verlags, „Neues Rheinisches Volksblatt“ und „Der deutsche Auswanderer“, und einer Buchankündigung „Der Bauernkrieg“:

(60) Neue Deutsche Zeitung 3

Schließlich im gleichen Format, ohne Fettdruck, aber mit noch ausführlicherer Selbstdarstellung (einschließlich einer Einladung, Verlagsaktien zu kaufen; vgl. JT: E-23) im JT v. 14.12.48: 978):

(61) Neue Deutsche Zeitung 4

Tendenziell verläuft die Entwicklung bei anderen Blättern wohl ähnlich. So schaltet auch die „Mannheimer Abendzeitung“ zuerst eine ausführlichere Kleinanzeige (JT v. 28.6.48: 394) und wirbt dann mit einem Zweispalter für ein Abonnement zum 1. Oktober (JT v. 25.9.48: 702):

(62) Mannheimer Abendzeitung

Auch die „Deutsche Reichstagszeitung“ macht in ihrer zweiten Anzeige (JT v. 26.9.48: 706)

(63) Reichstagszeitung

wenigstens durch größere Schrifttypen für den Titel und den Hinweis auf Robert Blum als Mitherausgeber im Vergleich zur ersten Anzeige vom 22.7.48 (JT: 482) auf sich aufmerksam.

Die meisten inserierenden Zeitungen haben ihren Sitz im Großherzogtum Hessen oder den unmittelbar südwestlich angrenzenden Räumen. Nur das „Wetterauer Volksblatt“ – mit einer am 22.9.48 (JT: 694) startenden gleichförmigen Anzeigenserie – ist mit seinem Erscheinungsort Friedberg dem Gießener Blatt räumlich nahe und von daher eine echte Konkurrenz (JT: E-20).

(64) Wetterauer Volksblatt

Die Redaktion der „Demokratischen Zeitung“ hingegen sitzt in Heidelberg; der Verlag inseriert zuerst am 13.12.48 (JT: 966)

(65) Demokratische Zeitung

Die „Mainzer Zeitung“ mit einer ausführlichen Darstellung am 14.12.48 (JT: 970) weist besonders auf ihre Bindung an die demokratischen Vereine in der hessischen Provinz Rheinhessen hin:

(66) Mainzer Zeitung

Sie steht in direkter lokaler Konkurrenz zum „Mainzer Tagblatt“, das aber erst am 21.6.49 (WD: 434) um Abonnenten wirbt:

(67) Mainzer Tagblatt

Hier – wie bei anderen überregionalen Blättern (s.o) – ist auffällig, dass zugleich deutlich um Inserate geworben wird. Auch „Die neue Zeit“, die am 4.1.49 (WD: 8) mit einer kleineren Anzeige auf sich aufmerksam macht, kommt aus der Provinz Rheinhessen, nämlich aus Worms:

(68) Neue Zeit

Gegen Ende der Revolutionszeit versuchen noch ein militär- und kirchenfeindliches Blatt aus Darmstadt – „Luzifer“ – und ein „radikalstes“ Blatt aus Kassel – „Die Hornisse“ – Leser zu gewinnen (WD v. 21.9.49: 582):

(69) Luzifer, Hornisse

Die „Hornisse“ ist der einzige Inserent aus Kurhessen, sieht man vom „Wächter an der Schwalm“ ab, der als letzte neue Zeitung um Abonnenten wirbt (WD v. 26.9.49: 582):

(70) Wächter an der Schwalm.

Zusammenfassend kann man sagen, dass

- ausschließlich solche Zeitungen im JT um Abonnenten werben, die politisch zur demokratischen Linken tendieren. Sie werden vom JT deshalb auch nicht als Konkurrenten betrachtet, sondern als Mitstreiter, mit denen man ein solidarisches Miteinander pflegt.

- alle werbenden Zeitungen (mit zwei Ausnahmen ganz am Ende) ihren Sitz im Großherzogtum Hessen-Darmstadt bzw. dem südlich unmittelbar anschließenden Rhein-Neckar-Raum haben;

- die Werbung um Abonnenten hauptsächlich mit dem Oktober-Quartal 1848 einsetzt und sich bis zum Ende des Erscheinungszeitraums ständig intensiviert;

- die Zeitungen insgesamt die Standards der Anzeigenwerbung deutlich voranbringen. Die Anzeigen werden umfangreicher (Zweispalter), haben ein differenziertes Schriftenlayout und entwickeln auch erkennbar Strategien, in ihren Werbetexten potenzielle Leser argumentativ zu beeindrucken, indem sie ihre jeweils besonderen Qualitäten herausstellen. Zum Standard gehört es dann, nicht nur die demokratische Gesinnung zu betonen, sondern auch die Nähe zu Zentren des politischen Handelns, auf Zusatzangebote und auf die Vorteile ihres Anzeigenteils aufmerksam zu machen.

Kommunikativer Zweck der Werbung ist es, Leser zum Abonnement (mindestens) einer weiteren Tageszeitung zu veranlassen, die deren (unterstellter) politischer Gesinnung entspricht.

 

4.3 Buchpublikationen

Nicht nur die Tageszeitungen tragen während der Revolution zur Meinungsbildung bei, auch Bücher und Schriften verschiedener Art sind wesentliche Bestandteile der politischen Bewusstseinsbildung der Zeit. Inserate machen darauf aufmerksam und sind insofern potentielle Vermittler neuer und alter Ideen und Vorstellungen. Natürlich ist erwartbar, dass im radikaldemokratischen „Jüngsten Tag“ in erster Linie revolutionäre Schriften zum Verkauf angeboten werden.

Zunächst fällt auf, dass für Bücher erst spät geworben wird. Das erste ist tatsächlich das oben (60) bei Leske erschienene Buch über den Bauernkrieg, das aber explizit dazu dient „die Bewegungen der Gegenwart richtiger würdigen lernen“. In einer Sammelanzeige Leskes vom 28.11.48 (JT: 914) erscheint dieses Buch neben einer Reihe anderer aktueller und – den Titeln nach zu urteilen – der revolutionär-politischen Aufklärung dienenden Werke:

(71) Leske

Einen im Anzeigenformat und auch thematisch entsprechenden Katalog bietet der Weller-Verlag in Leipzig zuerst am 28.1.49 (WD: 84). Aber erst im Herbst 1949 erscheinen einzelne Buchanzeigen, die als Anzeigen grafisch gestaltet sind und ein Werk oder wenige zum Gegenstand haben, zuerst am 6.9.49 (WD: 562), und wiederum von E.O. Weller:

(72) Weller 1

Der bietet am 23.10.49 (WD: 626) auch „M. Robespierres Sämmtliche Werke“ zur laufenden Bestellung und wartet schließlich am 19.12.49 (WD: 690) mit weiteren typografisch aufwändig gestalteten Anzeigen auf:

(73) Weller 2

Man sieht: die Werbung für Bücher ist – zumindest im JT – noch nicht weit vorangeschritten und beginnt sich erst gegen Ende des Erscheinungszeitraums etwas zu verdichten.

Es gibt aber eine weitere Serie von Anzeigen für Schriften, die meist mit dem Verlag von Carl Schild in Gießen verbunden sind, der den JT herausgibt. Das beginnt mit Notenblättern für eine „Schleswig-Holstein-Polka“ „Zum Besten der deutschen Flotte“ schon am 30.5.48 (JT: 298), setzt sich aber erst am 11.1.49 (WD: 32) mit den „Grundrechten des deutschen Volkes“ fort:

(74) Schild: Grundrechte

Denn ob eine in Buchhandlungen erhältliche „Gedächtnißrede auf Robert Blum, von Dr. Koch“ (JT v. 15.12.48: 974) bei Schild verlegt ist, ist unklar. Das gilt auch für die „Literarische Anzeige“, in der die Rede Baurs bei der Grundrechte-Feier (s.o. (36))) am 16.2.49 (WD: 118) beworben wird:

(75) Rede Baurs

Jedenfalls verhindert auch die Erweiterung der „Grundrechte“ um die „Verfassung des deutschen Reichs“ (WD v. 9.5.48: 376) nicht, dass die „Grundrechte“ im November 1849 verramscht werden (WD v. 14.11.49: 650):

(76) Schild: Abverkauf der Grundrechte

Mit zwei politischen Texten schließt das annoncierte Schriftenangebot des Verlegers Schild: mit einem Text August Beckers (WD v. 2.9.49: 556) (vgl. JT: E-23):

(77) Schild: Verteidigung Beckers

und – nicht mehr so recht in die Zeit passend und gleichzeitig mit dem Abverkauf der „Grundrechte“ – ein „Demokratischer Kalender für das Jahr 1850“ (WD v. 14.11.49: 650).

(78) Schild: Kalender

Insgesamt sieht man,

- dass die Neigung, politische Schriften zu annoncieren, eher schwach ausgeprägt ist. Vor allem beginnt sie erst relativ spät, als der revolutionäre Elan längst vorbei ist;

- dass in den Buchanzeigen des JT eine angemessene typografische Form für Buchanzeigen noch aussteht (am besten noch die erste über den Bauernkrieg: s.o. (60)).

- Bei den Angeboten des Verlegers Schild kommt hinzu, dass seine Angebote speziell auf sein Gießener und oberhessisches Lesepublikum abgestellt sind.

Kommunikativer Zweck der Buchanzeigen ist, den Leser (mit einer unterstellten politischen Gesinnung) zum Erwerb von meist politischen Werken zu veranlassen.

 

4.4 Sonstiges

Abschließend seien noch zwei annoncierte Angebote angeführt, die einen weiteren Aspekt zeigen, wie man die Revolution ökonomisch nutzen kann. In der Anfangsphase wird ein Rhetorik-Kurs angeboten (JT v. 16.5.48: 250):

(79) Rhetorik-Kurs

und in der Spätphase bietet der demokratische Gießener Landtagsabgeordnete Prof. Hillebrand Vorträge zur deutschen Geschichte der Neuzeit gegen Gebühr an (WD v. 16.2.49: 118):

(80) Vorträge Hillebrands.

 

4.5 Zusammenfassung

Man erkennt eine deutliche zeitliche Abfolge, was die kommerzielle Nutzung der Revolution durch Anzeigenwerbung angeht: Am Anfang stehen gehäuft Kaufangebote für Objekte, die in irgendeiner Form die revolutionäre Bewegung symbolisieren. Besonders ab Oktober 1848 rollt die Welle der Werbungen für politische Zeitungen, und noch später, eigentlich erst gegen Ende der Revolution, gewinnt die Buch- und Schriftenwerbung ein nennenswertes Gewicht.

Betrachtet man die Anzeigenformate, so sieht man, dass die Objektwerbung eher schlicht und nicht weit von der Werbung für frisch eingetroffene Heringe entfernt ist, und dass die Schriften- und Buchwerbung erst gegen Ende zu ausgeprägten grafischen Formen kommt. Am elaboriertesten sind zweifellos die Werbungen für Zeitungsabonnements, besonders wo sich der aufwändige Zweispalter durchgesetzt hat, weil hier ein ansprechendes Layout mit relativ ausführlichen Textelementen verbunden ist.

Der kommunikative Zweck dieser Anzeigen ist zweifellos der Verkauf der annoncierten Objekte. Als Gegenstände des politisch-revolutionären Prozesses kommt aber der Aspekt hinzu, dass diese Angebote Leser motivieren (können), sich einlässlicher mit politischen Fragen zu befassen und damit als mündige Bürger aktiv an Diskussion und Meinungsbildung teilzunehmen: Lesen bildet – und dazu kann man sich eine schwarz-rot-goldene Schleife binden.

 

5. Schlussbemerkung

Was diese vielfältige und inhomogene Anzeigenwelt im Innersten zusammenhält, ist der politische Impetus der zeitgenössischen Akteure: Das Faszinosum einer frei veröffentlichbaren Meinung, die Herstellung einer Öffentlichkeit mittels einer unzensierten Presse, verbunden mit den euphorischen politischen Höhenflügen für ein Vaterland, in dem Einigkeit und Recht und Freiheit herrschen, das vereint Redakteure (und Verleger), Inserenten und Lesepublikum. Anzeigen steuern die politischen Prozesse mit und organisieren die manifesten Formen des Prozesses als Vermittlungsagenturen: Sie vermitteln zwischen den großen Ereignissen und der lokalen Bewegung, sie vermitteln zwischen Öffentlichem und Privatem. Indem sie vermitteln, schaffen und verändern sie Bewusstsein. Dass dieses politische Bewusstsein von Anfang an – und im Verlaufe der Revolution verschärft – ein radikaldemokratisches ist, macht die Einheitlichkeit der Anzeigenwebung im JT und im WD zu einem guten Teil aus. Dass sich dabei im Verlaufe des revolutionären Prozesses unterschiedliche Schwerpunkte und unterschiedliche Modi der Anzeigenwerbung herausbilden, wird durch die vorliegende Dokumentation (hoffentlich) deutlich.

Vieles mutet uns heute in Aufmachung, Inhalt und Sprache fremd an. Wir erkennen leicht die Linien, die zur heutigen Anzeigenwerbung führen, und sind doch mitunter merkwürdig berührt vom Nachhall einer längst vergangenen, in Manchem gegenwärtigen Zeit.

 

6. Literatur

Franz, Eckhart G. (Hrg.) (1999): Der jüngste Tag / Wehr’ Dich. Die Zeitungen der oberhessischen Demokratie. Gießen 1848/1849. Nachdruck. Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission NF. Bd. 15/1-3).

Hohmeister, Karl-Heinz (1981): Veränderungen in der Sprache der Anzeigenwerbung. Dargestellt an ausgewählten Beispielen aus dem „Gießener Anzeiger“ vom Jahre 1800 bis zur Gegenwart. Frankfurt.

Kickartz, Eberhard (1997): „Der Rote Becker“. Das politisch-publizistische Wirken des Büchner-Freundes August Becker (1812-1871). Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt und Historische Kommission für Hessen (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte Bd. 110).

Ramge, Hans (2008): Zur Differenzierung von Pressetextsorten in der Meinungspresse von 1848. In: Christina Gansel (Hrsg.): Textsorten und Systemtheorie. Göttingen (im Druck).

Wettengel, Michael (1989): Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum. Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt. Wiesbaden.